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Wolfsruf

Titel: Wolfsruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.P. Somtow
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sich mit dem Gewinn aus dem Staub gemacht. Dann hab ich mein Glück mit Eisenbahnaktien versucht, Madam, aber sie haben mich betrogen und die Eisenbahn nicht dort gebaut, wo sie mir gesagt haben. Deshalb bin ich jetzt Wissenschaftler, Witwe Bryant, und helf’ den Kranken mit meiner welterschütternden Entdeckung.« Er zauberte ein Fläschchen Floccinaucinihilipilificator hervor.
    »Sie sind ein Gauner«, sagte die Witwe Bryant. »Ich glaube Ihnen kein Wort.« Aber sie lächelte dabei, und Cordwainer Claggart hoffte, dass er bereits gewonnen hatte.

    In der winzigen Abstellkammer, die ihr der Wirt während ihrer kurzen Auftritte als Garderobe zur Verfügung stellte, legte Amelia Nachtigal ihre Perücke, ihr Korsett und ihren deutschen Akzent ab.
    Und natürlich ihren Namen, denn in Wahrheit war sie Verna Smith aus Council Bluffs, und ihre Deutschkenntnisse hatte sie von den deutschen Einwanderern und aus ein paar Lehrbüchern.
    Der Raum war fensterlos. Sie starrte im Kerzenlicht ihr Spiegelbild an. Sorgfältig zog sie sich einen Morgenmantel über, der ihren ausladenden Busen kaum verbarg. Sie hatte das schäbige alte Ding aus zweiter Hand von einem Chinesen gekauft. Es war ganz offensichtlich für eine dieser zierlichen orientalischen Frauen geschneidert worden, obwohl ihr der Händler versichert hatte, die frühere Besitzerin sei eine wahre Riesin gewesen.
    Das Licht der Kerosinlampe, flackernd und rußig, schien die Falten in ihrem Gesicht zu glätten. Verna Smith seufzte und fragte sich, ob sie mehr Puder auflegen sollte. Aber wozu?, dachte sie. Es ist bloß der Schlangenöl-Marktschreier, ein Gauner wie aus dem Bilderbuch. Vielleicht kann ich seine Geldbörse ein bisschen erleichtern, wenn ich ihn genug errege.
    Sie drückte eine frische Kerze in den Keramikständer und zündete sie an der Kerosinlampe an. Dann strich sie ihren Morgenrock an einigen Stellen glatt, machte die Lampe aus und schlich auf den kalten, dunklen Korridor.
     
    Vishnevsky war wieder nach unten gegangen, entschlossen, mehr Informationen aus diesem mysteriösen Grumiaux herauszulocken. Der Eisenbahner saß immer noch am selben Tisch, ins Gespräch mit dem Lieutenant und dem Scout versunken. Gleich mehrere Flaschen dieses widerlichen Schnapses, an dem die Menschen sich hier berauschen, standen auf dem Tisch. Der Raum war düster und die Luft rauchgeschwängert,
aber der Gesang hatte aufgehört. Die Männer unterhielten sich leise. Er blieb eine Weile abseits stehen, fing Gesprächsfetzen auf, ohne sie richtig zu verstehen. Sie redeten über Gold und Frauen und Karten und Schnaps und manchmal auch über Indianer.
    Vishnevsky machte sich immer noch Sorgen um seine Cousine. Er hatte Natalia gerade noch rechtzeitig anketten können. Was, wenn etwas schiefgegangen wäre? Hatte er die Vorhänge zugezogen, und waren sie dunkel, undurchsichtig genug, um Natalia vom Mondlicht abzuschirmen? Wenn sie sich nur teilweise verwandeln würde, wäre sie vielleicht stark genug, um …
    »Ah, Monsieur Vishnevsky«, rief Grumiaux auf Französisch und winkte ihn herbei. »Sie hatten einen recht aufregenden Empfang hier in Deadwood, nicht wahr? Ich hoffe, Ihr Aufenthalt wird von nun an weniger - spannend sein.« Er machte dem Barkeeper ein Zeichen. »Ebenezer, einen Drink für unseren Freund.«
    Vishnevsky wollte eigentlich nichts mehr trinken, aber es war kalt, trotz des Ofens und des lodernden Feuers. Er konnte den Bergwind draußen hören, und durch das Fenster sah er, dass der Schneefall, der vorhin aufgehört hatte, wieder einsetzte. Er nahm das angebotene Glas und leerte es in einem Zug.
    »Wir haben uns gerade über die Fremont, Elkhorn and Missouri Valley Railroad unterhalten«, erklärte Grumiaux, »ein Thema, das, so glaube ich, auch Sie interessiert.«
    »Mein Auftraggeber, der Graf von Bächl-Wölfling«, erklärte Vishnevsky vorsichtig, »sieht es nicht ungern, wenn ich … Informationen sammle. Er zahlt gut dafür, und ich trage einen Kreditbrief der Wells Fargo bei mir …«
    Grumiaux lachte. »Sie haben doch gesehen, wie man hier zu Papiergeld steht!«
    Zeke Sullivan sagte: »Ich verstehe nicht, warum ein Mann wie Ihr Graf, oder was immer er ist, im Territorium Geschäfte machen will.«

    Vishnevsky antwortete: »Manchmal ist es auch für mich schwierig, die Motive des Grafen zu verstehen.«
    »Also, ich habe so ein Gerücht gehört«, wandte Grumiaux ein, »dass Ihr Graf persönlich herkommen will … mit Hunderten von Gefolgsleuten … dass er

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