Wolfsruf
die ganze Stadt Deadwood kaufen will … mit dem Chinesenviertel und allem Drum und Dran.«
»Wo haben Sie das gehört?«, fragte Vishnevsky irritiert. »Das ist nichts als ein Gerücht.« Aber gefährlich nah an der Wahrheit, dachte er besorgt. Vielleicht spekulierte Grumiaux ja nur darauf, dass Vishnevsky aus Versehen mit der Wahrheit herausplatzte. »Ich kann Ihnen versichern, dass mein Auftraggeber nicht an der Stadt Deadwood interessiert ist.«
Das war nicht gelogen, und die anderen schienen damit zufrieden zu sein.
»Aber er interessiert sich für die Fremont, Elkhorn and Missouri Valley Railroad«, sagte Grumiaux. »Das können Sie nicht abstreiten, Valentin Nikolaievich. Ich habe sogar gehört, dass sich Ihr Graf in die Streckenplanung einmischt. Sollte er das nicht lieber den Experten überlassen?« Er sah ihm in die Augen, forderte ihn heraus.
»Ich mische mich nicht in die Angelegenheiten des Grafen«, wich Vishnevsky aus. »Ich tue nur, was man mir aufträgt.«
»Ich schätze, am besten tust du den Mann mit zum Vermessen nehmen, Claude«, schlug Zeke vor. »Damit er das mal kennenlernt.«
»Warum nicht?«, fragte Grumiaux. »Wir ziehen immerhin alle am gleichen Strang, oder nicht?« Er sah Vishnevsky wieder direkt in die Augen, und sein Gesicht war eine Maske der Unbefangenheit. »Erweisen Sie mir die Ehre und machen Sie morgen mit mir einen kleinen Ausflug? Sie können unsere Männer bei der Arbeit beobachten. Es wird leider ziemlich langweilig werden, befürchte ich, eine Schneepflug-Expedition. Manche sagen, es sei ein eindrucksvoller Anblick, wie sich dieser riesige
Pflug durch den Schnee gräbt, von fünf, sechs, manchmal sogar einem Dutzend Lokomotiven geschoben, und wie sich zu beiden Seiten weiße Berge auftürmen.«
»Es wäre mir wirklich eine Ehre«, sagte Vishnevsky mit der gleichen Unbefangenheit, dann leerten sie beide ein weiteres Glas dieses grauenhaften Gesöffs, um die Abmachung zu besiegeln.
Der Lieutenant hatte zerstreut dabeigesessen und ihnen nur mit halbem Ohr zugehört. Jetzt setzte er sich abrupt auf und sagte: »Hört mal! Da ist wieder dieser verfluchte Wolf …«
»Ein Wolf? Mitten in der Stadt?«, fragte Grumiaux. »Ganz bestimmt nicht.«
Vishnevsky war augenblicklich alarmiert. Er lauschte angestrengt. Kamen irgendwelche ungewöhnlichen Geräusche von oben? Er wartete auf das verräterische Knurren, das Klagen, das unheimliche Heulen. Nichts. Sicher hätte er das als Erster bemerkt. War es möglich, dass Natalia …
»Scott«, bedrängte Zeke seinen Freund, »du hast in letzter Zeit eine Menge seltsamer Dinge gesehen, aber - es gibt keine Wölfe in Deadwood.«
»Ich habe aber etwas gehört!«, widersprach Scott Harper. Vishnevsky lauschte angestrengt. Überall um ihn herum waren Stimmen: raue Stimmen, kartenspielende Männer, Fluchen. Dann hörte er etwas anderes … ein hohes Jaulen … weit entfernt, sodass es fast im Klagen des Windes unterging. Das konnte nicht Natalia sein - selbst wenn sie sich aus ihren Ketten befreit hatte, selbst wenn sie die Metamorphose vollkommen abgeschlossen hatte, wie hätte sie unbemerkt hinausgelangen können? Gab es einen Balkon, von dem aus sie das Dach erreichen konnte, um von dort wiederum zur Erde zu springen? Vishnevskys Gehirn arbeitete fieberhaft. Er wusste es nicht mehr. Er musste es herausfinden.
»Zum Teufel … ich höre auch Wölfe«, sagte Zeke.
Jemand von einem anderen Tisch mischte sich ein: »Sie werden
von der warmen Stadt angelockt. Sie finden da draußen nichts mehr zum Fressen. Ich schätze, die verdammten Biester sind hungrig.«
Grumiaux sagte: »Ich schlage vor, wir gehen hinaus und suchen …«
»Nein!«, platzte Vishnevsky heraus.
Es war, als wären im Saloon augenblicklich alle Gespräche verstummt und alle Augen auf ihn gerichtet. »Ich meine ja nur …«, ergänzte er hilflos, »es ist gefährlich. Wir sollten nicht riskieren …«
Einer der Kartenspieler meinte: »Klingt so, als würde es aus dem Chinesenviertel kommen. Ich riskiere meinen Hals nicht für ein paar Heiden.«
Grumiaux stand auf. »Ich gehe«, entschied er. »Zeke, komm mit.«
Ein paar andere erhoben sich ebenfalls. Plötzlich schien es, als würden alle gehen; sie zogen ihre Mäntel an, prüften ihre Smith and Wessons. Was, wenn es Natalia war? Ihre Waffen würden nichts gegen sie ausrichten können. Wie konnte er ihnen das klarmachen? Sie stapften bereits hinaus in den Schnee.
Zeke wandte sich an ihn: »Sie sollten nicht
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