Wolfstage (German Edition)
Vorwissen
mitbrachte, konnte durchaus auf die Idee kommen, dass die Dokumente und
Aufstellungen Geschäftsabläufe zusammenfassten, die zwar keinesfalls in falsche
Hände geraten durften, zum Beispiel in die der Konkurrenz, aus denen aber nicht
ersichtlich wurde, dass sie mit Mord und Totschlag in Verbindung gebracht
werden konnten. Und dass die Fotos das eitle Gebaren eines erfolgreichen
Geschäftsmannes widerspiegelten. Nicht mehr und nicht weniger. Auf den zweiten Blick
wurde klar, dass die Qualität der Fotos bemerkenswert gut war und das Programm,
mit dem sie abgespeichert und wahrscheinlich bearbeitet worden waren,
professionellen Charakter hatte.
»Hey Blümchen«, lauteten Katis Zeilen an die Freundin, »guck Dir bei
Gelegenheit doch mal an, mit welchem Kram sich Dein Ritchi so beschäftigt …
Durch diese Politik-und Wirtschaftsscheiße steigt man kaum durch – da
müsste ich glatt mal jemanden befragen, der sich damit auskennt –, aber
die Fotos könnten interessant sein. Gruppenbild mit Chef, Jagdszenen und immer
nur Kerle. Sag mal, ist Dein Lover vielleicht ein bisschen schwul angehaucht …?!
Frag ihn doch mal! Ciao. Man sieht sich.«
»Jagdszenen?«, fragte Johanna, während sie auf die Fotos klickte.
Eva Blum räusperte sich. »Ja, Richards Chef und seine Geschäftspartner
gehen manchmal auf die Jagd und … ähm, Richard ist nicht schwul
angehaucht«, setzte sie nach. »So ein Quatsch.«
»Es gibt kaum etwas, was mich weniger interessiert, Frau Blum«,
erwiderte Johanna scharf, bevor sie auf den Monitor blickte.
Die Aufnahmen setzten durchweg Taschner in Szene. Taschner bei einem
Vortrag in irgendeinem Saal, Taschner mit Seminarteilnehmern im Reitlingstal,
Taschner gestikulierend inmitten interessiert zuhörender Männer, daneben häufig
Richard Peters – gepflegt, gut aussehend, mit wachsamem Gesichtsausdruck,
Gelassenheit und Souveränität ausstrahlend. Andere Bilder zeigten Männer auf dem
Hochsitz, vor einem erlegten Wildschwein oder Hirsch, am Lagerfeuer. Zum Glück
keine Wölfe. Keine toten Wölfe. Richard war immer dabei, manchmal auch Gregor
Bischoff. Frauen tauchten höchstens als Randfiguren auf.
Die Textdokumente, als PDFs gespeichert, beinhalteten zum einen
geschäftliche Vorgänge – Erläuterungen zur Gewinn-und Verlustrechnung der
vergangenen zwei Jahre und eine detaillierte Aufstellung von Taschners
Unternehmensbeteiligungen – sowie Fachsimpeleien und Erörterungen zur
geplanten Parteigründung. Eine umfangreiche Adressdatei war in einem
Datenbankprogramm gespeichert.
Johanna spürte, dass ihr Herzschlag sich deutlich beschleunigt
hatte. Sie sah Eva Blum an.
»Frau Blum, das sind sehr wichtige und höchst vertrauliche Interna.
Warum hatte Richard diese Dateien überhaupt bei sich?«
»Er arbeitet häufig, wenn er bei mir ist. Richard tut sehr viel für
seine Karriere. Er will nicht stehen bleiben. Das sagt er immer. Und er hat
gute Chancen, weiter aufzusteigen.«
»Jetzt nicht mehr, Frau Blum.«
»Ja, stimmt …«
Johanna wartete, ob Blum noch etwas hinzufügen würde. »Okay. Bitte
warten Sie im Nebenraum«, meinte sie schließlich, als das nicht der Fall war.
Als Eva Blum das Zimmer verlassen hatte, blieb es einen Moment
still. Johanna sah Colin an, der sein Piratentuch zurechtzupfte.
»Stellt sie sich so naiv? Oder ist sie es tatsächlich?«, fragte sie schließlich
den jungen Kollegen. »Sie ist Richards Freundin und müsste doch eigentlich mehr
wissen, oder?«
»Ehrlich gesagt: keine Ahnung.«
Johanna seufzte. »Na schön. Gib bitte die Datenbank und die Fotos
ans BKA weiter. Ich will so schnell wie möglich
wissen, mit welchen Leuten Taschner zu tun hat. Und dann sieh mal nach, ob
Reinders noch mit Mansloh beschäftigt ist. Wenn nicht, bring ihn zu mir.«
Johanna streckte die Arme und massierte sich kurz den
Nacken, während Rolf Mansloh vor ihr Platz nahm. Ein bisschen nahm sie es sich
selbst übel, dass sie ihm den jungenhaften, unschuldigen Charme des werdenden
Vaters abgenommen und weder brutalste Grausamkeiten noch die Beteiligung an
einem Mord zugetraut hatte. Sein Haar war verschwitzt, das Gesicht glänzte
rötlich. Er sah an ihr vorbei.
»Sie haben die Wahl«, sagte Johanna schließlich. »Ein elend langes
Verhör oder –«
»Ich muss gar nicht mit Ihnen reden«, fiel er ihr ins Wort. »Mein
Anwalt wird …«
»Sich kümmern – sobald er im Büro ist und Bescheid weiß.
Natürlich« Johanna lächelte. »Irgendwann morgen. Aber es wäre
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