Wolfstage (German Edition)
klar, dass Milan …« Er
brach ab.
»Wer hat die Alibis so sorgfältig abgestimmt? Und was ist mit dem
Wagen passiert?« Johanna beugte sich über den Tisch vor. »Reden Sie endlich!«
»Gregor hat telefoniert …«
»Mit Peters?«
»Kann sein.«
Die Kommissarin setzte sich wieder auf. »Henrik, Sie müssen
erzählen, was Sie wissen – das ist Ihre einzige Möglichkeit, mit den
Geschehnissen klarzukommen.«
Henrik strich sich das strähnige dunkle Haar aus der Stirn. »Ich
weiß zu wenig, um Ihnen entscheidende Anhaltspunkte liefern zu können, und zu
viel, um ungeschoren davonzukommen. Und ich habe alles verspielt, was mir je
wirklich wichtig war.«
Johanna starrte ihn an. »Wie meinen Sie das?«
»Ich wollte dazugehören, ein Ziel haben, meine Eltern beeindrucken
und neben Milan bestehen können. Nicht mehr und nicht weniger.«
»Sie müssen sich ein neues Ziel suchen.«
Henrik lächelte müde. Er stand langsam auf. »Lassen Sie mich zurückbringen.
Ich habe nichts mehr zu sagen.«
»Ich habe schon viel gesehen in meinem Berufsleben«, sagte Johanna
leise, als Hildmann im Begriff war, sich umzudrehen. »Viel Schreckliches.
Unbeschreibbare Tatorte und grauenhaft zugerichtete Opfer, deren Anblick ich
nicht vergessen kann. Nie kann ich mich daran gewöhnen.«
Er hielt inne.
»Kein Tier ist so grausam wie der Mensch. Kein Tier lässt sich so
willfährig zum Werkzeug machen.« Sie zog das Foto von Kati hervor, als er sich
wieder setzte. »So hat Kati Lindner ausgesehen, als Ihre Idole und Kameraden
mit ihr fertig waren.«
Einen Augenblick lang befürchtete Johanna, dass Henrik umfallen
würde. Oder sich übergeben. Oder beides. Er hielt sich mit beiden Händen an der
Tischkante fest.
»Wenn Sie mir einen Hinweis geben, wird niemand erfahren, dass er
von Ihnen kommt«, sagte sie ruhig. »Wo ist der Laptop?«
»Ich wusste nichts von dem Mord an ihr«, flüsterte er und ließ sich
wieder auf den Stuhl sinken. »Nichts, das müssen Sie mir glauben. Peters hat
irgendwann mal erzählt, dass ihm die Freundin von Eva gewaltig auf die Nerven
gehen würde. Ich fand die eigentlich ganz nett.«
»Sie kannten Kati?«
»Von einer Fete – da kamen die drei, also Richard, Eva und Kati
zusammen hin«, erklärte Henrik. »Als es später hieß, dass Kati verschwunden
sei, wäre ich im Leben nicht darauf gekommen, dass Richard etwas damit zu tun
hat …«
»Gregor hat wenige Tage nach Katis Verschwinden deren Laptop aus der
Buchhandlung abgeholt, indem er der Inhaberin eine Lügengeschichte auftischte,
die die ihm prompt abkaufte. Und Gregor wusste, dass der Computer im Geschäft
war, weil Eva Blum das bei den Lindners zu Hause in Erfahrung gebracht hatte.«
»Davon weiß ich nichts. Aber …«
»Ja?«
»Gregor hatte kürzlich einen neuen beziehungsweise anderen Laptop
bei sich rumstehen, daran kann ich mich erinnern. Als ich mir den mal genauer
ansehen wollte, hat er mich ziemlich angefaucht, und am nächsten Tag war das
Teil weg.«
Ich sollte mich nicht mehr darum kümmern, überlegte Johanna, denn
selbst wenn wir ihn fänden – garantiert hatte Peters die Festplatte längst
professionell zerstört oder zerstören lassen, falls die Daten brisant genug
waren, und davon konnte man wohl inzwischen ausgehen.
»Bitte lassen Sie mich jetzt gehen«, sagte Henrik und stand wieder
auf. »Ich kann nicht mehr und mir ist schlecht.«
Mir auch, dachte Johanna. Ich brauche eine Pause.
Sie holte sich einen Latte macchiato und stellte sich ans
offene Fenster in der Kantine. Reinders trat zu ihr.
»Was für eine miese Geschichte.« Er fuhr sich durchs Haar. Bartschatten
lag auf seinem Gesicht.
Sie musterte ihn kurz von der Seite. »Sie sagen es, Kollege.«
»Wie geht es weiter?«
»Haben Sie Lust, bei Mansloh und Bischoff schon mal zermürbende
Vorarbeit zu leisten, während ich zunächst mit Eva Blum spreche?«
»Was genau verstehen Sie unter zermürbend?«
»Konfrontieren Sie die beiden mit den Fotos der Opfer, aber erwähnen
Sie nicht, dass es einen Augenzeugen gibt.«
»Warum nicht?«
»Nur so.«
Reinders zog eine Augenbraue hoch. »Wie Sie meinen.«
»Tut sich im Krankenhaus was?«
Er schüttelte den Kopf und zog sich eine Cola aus dem Automaten.
»Nichts. Glauben Sie wirklich …?«
»Ich glaube bald gar nichts mehr.«
Eva Blum musste sich übergeben. Johanna spürte nicht mal
den Hauch eines Mitgefühls. »Hätten wir das geklärt«, sagte sie lapidar und
brachte die Fotos in Sicherheit, während Eva ihr
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