Wolfstage (German Edition)
informieren.«
»Vielleicht wusste er ja, dass ihr beide auf ein und denselben Typen
abgefahren seid. Das mag ihn gehemmt haben.«
»Ganz sicher nicht.«
»Wer sagt das? Hat dir das dein ehrlicher und grundanständiger
Steffen versprochen?« Volker lachte gehässig auf.
Erika gab sich gleichmütig. »Nein, das hätte ich gemerkt.«
»Nichts hättest du gemerkt«, sagte Volker und wandte sich wieder um.
»Das Haus hätte hinter dir abbrennen können, du hättest es nicht mitbekommen.«
»Und du? Hast du es denn damals gewusst? Und hat er mit dir darüber
gesprochen?«, gab Erika die Frage zurück.
»Nein. Aber, falls es dich interessiert, ein bisschen seltsam fand
ich es schon, dass ein gut aussehender und talentierter Junge wie er nie eine
Freundin mitgebracht hat.«
»Und warum hast du ihn nie darauf angesprochen?«
»Ich selbst hätte es mit sechzehn, siebzehn nicht als angenehm empfunden,
von meinem Vater nach meinem Liebesleben befragt zu werden.«
»Aha. Damit ist die Angelegenheit dann zu den Akten gelegt worden.
Eine bequeme Haltung.«
»Du bist die Letzte, die sich hier über irgendwas mokieren sollte«,
sagte Volker und drehte sich erneut in ihre Richtung. Seine Lippen waren weiß.
»Mag sein«, gab Erika zu. »Ich habe eine große Dummheit begangen,
für die ich schon viel bezahlt habe und wohl noch mehr bezahlen muss. Doch
vergessen wir eines nicht – du hast Dutzende von Affären mit jungen Frauen
gehabt und hast sie immer noch. Wenn je eine dabei gewesen wäre, die sich auch
gleichzeitig mit deinem Sohn befasst und daraus einen irgendwie gearteten
Vorteil gezogen hätte, wäre die Geschichte dann mit dem vergleichbar, was mir
passiert ist?«
»Erika, du hast es immer noch nicht begriffen – so ein Mist
passiert mir nicht!«
»Wirklich nicht? Wie kannst du da so sicher sein?«
»Ganz einfach: Das ist eine Sache, die vierzigjährigen unzufriedenen
und frigiden Karrierefrauen und Schwulen passiert, aber keinesfalls
erwachsenen, verantwortungsbewussten Männern, die im Vollbesitz ihrer geistigen
und körperlichen Kräfte sind.«
Erika schaffte es, den Schlag einzustecken. Sie stand langsam auf.
»Gut zu wissen, was du von mir hältst«, erwiderte sie leise. »Und
von Moritz.«
Sie ging nach oben in ihr Zimmer. Ihr Gesicht fühlte sich wie eingefroren
an. Erstarrt in dem Bemühen, dem Schmerz keinen Spiegel zu bieten. Sie fragte
sich, wie lange sie das durchhalten würde. Und warum.
***
Der junge Mann stand Montagmorgen auf dem Parkplatz vor
der »Alten Mühle« und sah ihr aus putzmunteren Augen erwartungsvoll entgegen,
während Johanna, die bemerkenswert schlecht geschlafen hatte, ihre kaum
aufhalten konnte und ihm lediglich einen beiläufigen Blick zuwarf. Garantiert
ein Fan von Johnny Depp, dachte sie träge: Piratentuch, fein geschnittenes
Bärtchen, sportliche Figur, lässig gekleidet.
Sie gähnte ausgiebig und hatte noch nicht einmal ein schlechtes
Gewissen, dass sie vergaß, sich die Hand vor den Mund zu halten. Der Typ sah
sie immer noch an und wünschte ihr einen guten Morgen, was sie mit einem halbherzigen
Nicken quittierte, um sich dann an ihm vorbeizuschieben und weiter zu ihrem
Wagen zu gehen. Höflich war der Johnny-Depp-Junge, das musste man ihm lassen.
Vielleicht arbeitete er im Hotel. Er folgte ihr pfeifend, aber erst als sie ihr
Auto aufschloss und er die Hand auf die Klinke der Beifahrertür legte, stutzte
sie.
»Was machen Sie denn da?«, fragte sie nicht sonderlich einfallsreich
und alles andere als freundlich.
»Ich trete meinen Dienst an.« Er grinste.
»Als Schiffsjunge auf der Bounty, oder was?«
Er grinste noch breiter. »Habe ich mich nicht vorgestellt? Ich bin
Colin Sander. Ihre Verstärkung.«
Johanna war auf einen Schlag wach, wenigstens etwas. Sie starrte
Sander entgeistert an.
Dessen Grinsen wurde deutlich schwächer, als Johanna es nicht mal im
Ansatz erwiderte, aber er gab sich Mühe, Haltung zu bewahren. »Reinders meint,
wir würden bestimmt gut miteinander auskommen.«
Vielleicht hat Reinders mehr Humor, als ich ihm zugetraut habe,
dachte Johanna. Oder er hat noch viel weniger für mich übrig, als ich mir
vorstellen kann. Sie warf ihren Lederrucksack auf den Rücksitz und stieg ein.
Wie wunderbar war es doch gewesen, mit Sofia Beran zusammenzuarbeiten.
»Wie alt sind Sie?«, fragte sie, als sie vom Parkplatz fuhr.
»Ende zwanzig«, gab er rasch zurück.
Sie warf ihm einen scharfen Seitenblick zu. »Ich bin zwar eine Frau,
und mein Abi
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