Wolfstod: Laura Gottberg ermittelt
ihm.»
Wieder Schweigen. Dann Räuspern.
«Falls du interessante Sachen über ihn herausfindest, dann bin ich bitte der Erste, der was darüber erfährt. Ich habe schon mit meinem Chefredakteur darüber gesprochen. Ich werde eine große Story über Altlander machen. Arbeitstitel: Der einsame Weg eines großen Linken. Wie findest du das?»
Diesmal schwieg Laura.
«Was ist los?» Seine Stimme klang ärgerlich.
Warum muss ich es jedes Mal wieder neu erklären, dachte Laura. Warum gibt er nie auf?
«Es geht nicht, Ronald. Du weißt genau, warum. Wir waren verheiratet. Wenn ich dir Informationen zukommen lasse, die nicht von oben abgesegnet sind, dann fliege ich raus.»
«Ich könnte die Infos ja über unklare italienische Kanäle …»
«Vergiss es!»
«Weißt du, was dir fehlt, Laura?»
«Nein.»
«Italienisches Familiengefühl! In Italien arbeiten alle solidarisch zusammen an gemeinsamen Interessen – vor allem wenn sie einer Familie angehören! Du hattest doch eine italienische Mutter.»
«Aber sie war nicht Mitglied der Mafia!»
Er lachte trocken auf.
«Ich meine nicht die Mafia, sondern die ganz normale Verhaltensweise, dass Familienmitglieder sich gegenseitig unterstützen.»
«Es hat keinen Zweck, Ronald.»
«Aber als Babysitter bin ich gut genug, was?»
Jetzt, dachte Laura und atmete tief durch, um nicht zu explodieren.
«Ronald …», begann sie. Er hatte aufgelegt. Mit einer heftigen Bewegung riss Laura ein Blatt aus ihrem Notizblock, knüllte es zusammen und warf es anstelle des Telefons an die Wand.
Auf dem Weg nach Schwabing hielt sie vor einer Bäckerei und kaufte sich eine Butterbreze. Wieder im Wagen, biss sie mit solcher Gier hinein, dass sie plötzlich innehielt, dem Geschmack von Butter und knusprigem Salzgebäck auf der Zunge nachspürte und gleichzeitig wusste, dass diese Brezenlust nur Ausdruck ihrer Sehnsucht nach viel mehr Leben war, als sie leben konnte. Sie steckte diese Erkenntnis weg und aß weiter.
Grauer Tag, das Wetter hatte über Nacht umgeschlagen. Laura kam es vor, als wäre auch die Stadt über Nacht hässlicher geworden. Die Leopoldstraße erschien ihr geradezu trostlos, graue Häuserreihen hinter dünnen, zu hohen Pappeln, zu viele Autos, zu viele Menschen. Sie atmete erleichtert auf, als sie in die schmalen Seitenstraßen hinter der Münchner Freiheit einbog und endlich vor einem der behäbigen Gründerzeithäuser anhielt.
Vielleicht wäre es besser gewesen, die alten Leute anzurufen und auf ihren Besuch vorzubereiten. Aber Laura hatte diesen Gedanken verworfen. Ein Überraschungsbesuch würde vermutlich bessere Ergebnisse bringen. Meistens war es gut, wenn Menschen sich nichts zurechtlegen konnten, dann kam es der Wahrheit näher. Sie wischte die Brezenkrümel von ihrem Mund, von ihrer Lederjacke, stieg langsam aus.
Vor den mächtigen Häusern lagen kleine Vorgärten, von Mauern eingefasst, schier überquellend von Blumen und Büschen. Die Wohnanlage strahlte Beständigkeit aus, hatte nichts von der Flüchtigkeit neuer Stadtrandsiedlungen. Laura kam es vor, als hätten diese Häuser Wurzeln.
Die Erste auf ihrer Liste hieß Neugebauer, Anna, 89 Jahre, Witwe, wohnhaft in der Genossenschaft seit 1942. Laura drückte auf den Klingelknopf, wartete lange, ehe der elektrische Türöffner summte. Es gab keinen Aufzug im Haus, dafür eine breite Holztreppe, die nach Bohnerwachs roch. Anna Neugebauer wohnte im ersten Stock rechts, ihre Wohnungstür war geschlossen, doch als Laura davorstand, ging sie einen Spaltbreit auf, und eine brüchige Stimme fragte, wer denn da sei. Laura erklärte vorsichtig, dass sie als Polizeibeamtin die Hilfe der alten Dame brauche.
«Da könnt ja jeder kommen!», erklang es durch den Spalt, der mit zwei Ketten abgesichert war. «Und wenn ich aufmach, dann stehlen S’ mei Geld. Ich hab noch nie mit der Polizei zu tun g’habt. Mein ganzes Leben lang net!»
Laura steckte ihren Ausweis durch den Spalt. Er wurde hineingezogen, dann war es eine Weile still.
«Der könnt auch g’fälscht sein!», erklang endlich die zittrige Stimme wieder.
«Tja», antwortete Laura. «Das Risiko müssen Sie wohl eingehen, Frau Neugebauer.»
Wieder blieb es ein paar Minuten still.
«Sie können mir ja die Fragen durch die Tür stellen.»
«Ich würde Sie aber gern dabei anschauen, Frau Neugebauer.»
«Da sehen S’ aber nix G’scheit’s. Bloß a uralte Frau. Um was geht’s denn eigentlich?»
«Um Gustav Dobler. Vielleicht erinnern Sie sich an
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