Wolfstod: Laura Gottberg ermittelt
ihn? Er war während des Zweiten Weltkriegs Hausmeister.»
Die alte Frau hinter der Tür hustete.
«Dobler?», krächzte sie.
«Ja, Gustav Dobler.»
«Kenn keinen Dobler.» Wieder Husten.
«Aber er war hier Hausmeister, und Sie haben hier bereits gewohnt, Frau Neugebauer.»
«Woher wissen S’ denn des? Wieso spionier’n Sie hinter mir her? Ich kenn keinen Dobler, und damit basta!»
Die Tür klappte zu. Lauras Ausweis war drinnen. Jetzt ging die Wohnungstür auf der anderen Seite des Flurs auf, und eine junge Frau trat heraus.
«Hallo!», sagte sie. «Wollen Sie zu Frau Neugebauer?»
«Ja, aber sie hat offensichtlich etwas gegen Besucher.»
«Sie ist nur vorsichtig», antwortete die junge Frau und musterte Laura prüfend. «Was wollen Sie denn von ihr?»
«Ich brauche ein paar Auskünfte. Ich bin Polizeibeamtin – aber selbst mein Ausweis konnte die alte Dame nicht überzeugen. Sie hat ihn gleich behalten.»
Die junge Frau lachte so spontan los, dass Laura einstimmte.
«Das sieht ihr ähnlich. Warten Sie – mich kennt sie. Wahrscheinlich steht sie noch hinter der Tür und horcht, was jetzt passiert.» Die Frau überquerte den Hausgang, klappte den Briefschlitz von Anna Neugebauers Wohnungstür hoch und rief: «Frau Neugebauer, ich bin’s, die Marion. Die Frau von der Polizei braucht ihren Ausweis wieder, und vielleicht sollten Sie doch die Tür aufmachen. Ich bin ja auch da und kann aufpassen.»
Es dauerte noch ein paar Minuten, ehe die junge Frau ihre alte Nachbarin endlich davon überzeugen konnte, die Tür zu öffnen. Dann stand sie im halbdunklen Flur – nicht so klein und zerbrechlich, wie Laura erwartet hatte, sondern aufrecht, mit wachsamen Augen, hager, das Gesicht voll tiefer Linien, das weiße Haar glatt nach hinten gekämmt.
«Da ist der Ausweis!» Sie hielt ihn Laura hin. «Den Dobler kenn ich trotzdem nicht!»
«Warum denn nicht?», fragte Laura und nahm ihren Ausweis.
«Weil er ein schlechter Mensch war!»
Die junge Frau neben Laura kicherte.
«Und warum war er ein schlechter Mensch?»
«Das geht Sie nichts an!»
Die Tür knallte zu, die Kette wurde wieder eingehängt.
«Ich fürchte, das war’s für heute», sagte die junge Frau namens Marion. «Jetzt macht sie bestimmt nicht mehr auf.»
«Falls ich es nochmal versuchen möchte, kann ich Sie dann vorher anrufen?» Laura sah die junge Frau fragend an.
«Ja, natürlich. Ich geb Ihnen meine Nummer. Ist es denn wichtig?»
«Ja, schon. Es geht immerhin um einen Mord.»
«Was, Mord?» Wieder kicherte Marion. «Also, die Frau Neugebauer hat bestimmt keinen umgebracht.»
«Vermutlich nicht», gab Laura zurück, «aber sie kannte das Opfer.»
«Den schlechten Menschen?»
«Genau den.»
«Ich werd mal versuchen, mit ihr darüber zu reden, wenn das für Sie okay ist.»
«Tja, wenn Sie es versuchen wollen. Hier ist meine Karte. Rufen Sie mich an. Falls ich nicht da bin, lassen Sie sich mit meinem Kollegen Baumann verbinden. Kommissar Baumann … ich schreib’s dazu.»
Der Nächste auf der Liste war ein Mann. Karl-Otto Mayer, 92 Jahre, Witwer, Mitglied der Genossenschaft seit 1940. Seine Wohnung lag drei Häuser weiter im selben Block. Er wohnte im zweiten Stock links. Im Gegensatz zu Frau Neugebauer öffnete er die Tür ziemlich schnell und schien sich über den unerwarteten Besuch zu freuen. Lauras Ausweis überzeugte ihn sofort, und er bat sie herein. Von dem langen Flur gingen mindestens sechs Türen ab, und Laura hätte am liebsten jede aufgemacht, um zu sehen, was sich dahinter verbarg. Der alte Herr schien ihre Gedanken zu erraten, denn er sagte: «Früher hab ich an Studenten vermietet, aber jetzt ist mir das zu viel geworden. Ich hab die Zimmer einfach abgeschlossen. Dann brauch ich nicht zu putzen und zu heizen – ist genauso, als hätt ich eine kleine Wohnung.»
Er führte Laura ins Wohnzimmer. Dunkle schwere Möbel füllten den Raum so sehr, dass ihr das Atmen schwerfiel. Es kam ihr vor, als hätte er die Schränke und Tische aus allen anderen Zimmern hier versammelt, es gab kaum Platz genug, sich zu einem der Sofas oder Sessel durchzuschlängeln.
«Leben Sie hier allein?» Laura setzte sich auf ein Sofa mit großen Samtkissen, versank beinahe darin.
«Jaja», murmelte er. «Schon lange. Meine Frau ist schon vor vielen Jahren gestorben. Meine Kinder wohnen in Norddeutschland. Aber da geh ich nicht hin! Auch wenn die das wollen. Ich bin hier geboren, und hier bleib ich!»
Laura lächelte ihm zu. Er
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