Wolfstod: Laura Gottberg ermittelt
lächelte zurück, stand ein wenig gebeugt neben einem Sessel, die Hand auf die Lehne gestützt. Als er Laura fragte, ob sie ein Schnapserl wolle, erinnerte er sie so sehr an ihren eigenen Großvater, dass sie leicht den Kopf schüttelte, um in die Wirklichkeit zurückzufinden. Auch ihr Großvater hatte selbst am Vormittag jedem Besucher einen Schnaps angeboten. Irgendwie war ihm kein anderes Getränk eingefallen.
«Ach gehen S’, Frau Kommissarin. Ein kleines Glaserl!»
«Ein halbes!», erwiderte Laura, denn sie war sicher, dass der alte Herr dann bereitwilliger mit ihr reden würde. Sie kam sich ein bisschen schlecht bei diesem berechnenden Schachzug vor, doch sein breites Lächeln tröstete sie darüber hinweg.
«Himbeergeist? Oder lieber ein Zwetschgenwasser? Ein bisserl Grappa hab ich auch noch, den hat mir mein Sohn aus Italien mitgebracht.»
«Himbeergeist.»
«Der duftet, Frau Kommissarin. Wie reife Himbeeren duftet der!» Er nahm zwei Gläser aus dem großen dunklen Wohnzimmerschrank, betrachtete zufrieden die Flasche, schenkte sorgsam ein. Nicht mehr als zwei halbe Schnapsgläschen voll.
«Mehr darf ich auch nicht», bemerkte er. «Hat der Arzt gesagt. Zwei halbe Gläser am Tag. Mehr nicht. Eigentlich schad in meinem Alter. Oder was sagen Sie, Frau Kommissarin? Ich mein, viel kann ich eh nicht mehr kaputt machen.» Er stieß ein glucksendes Lachen aus.
«Na ja. Aber zu viel ist ja auch nicht gut. Mir wird schlecht, wenn ich zu viel trinke.»
«Da haben S’ auch wieder recht. Also prost, Frau Kommissarin. Schön, dass Sie da sind.»
Sie stießen an, und er kippte sein halbes Glas hinunter, während Laura nur nippte.
«Also!», sagte er nach einem zufriedenen Seufzer. «Was wollen S’ denn von mir?»
«Ich hab nur ein paar Fragen über eine Zeit, die schon lange zurückliegt.»
«Fangen S’ ja nicht vom Krieg an. Der ist vorbei.»
«Es geht nicht direkt um den Krieg, nur um die Zeit. Haben Sie während des Krieges schon hier gewohnt?»
Er goss sich noch ein halbes Glas ein.
«Jaja», murmelte er. «Aber ich war an der Front. Meine Frau war hier. Ist einmal ausgebombt worden. Da ist eine Phosphorbombe in den Dachstuhl eingeschlagen, und bis zum dritten Stock runter hat alles gebrannt. Wir haben Glück gehabt und das meiste retten können.»
Laura schwieg, wartete auf eine neue Frage von ihm. Er drehte das Gläschen in seiner Hand, und sie konnte sehen, dass er in Gedanken weit weg war. Endlich räusperte er sich, nickte vor sich hin. «Das waren schlimme Zeiten, Frau Kommissarin. Wer die nicht erlebt hat, kann dankbar sein.»
Er trank einen kleinen Schluck Himbeergeist und kam endlich wieder bei ihr an.
«Also, was wollen S’ wissen?»
«Haben Sie damals einen Gustav Dobler gekannt?»
«Den Dobler? Warten S’ … der war damals Hauswart und gleichzeitig Blockwart. Des waren damals Leut wie die bei der Stasi in Ostdeutschland. Die haben alle ausspioniert. Meine Frau hat er beinah ins KZ gebracht, weil sie sich darüber aufgeregt hat. Sie müssen wissen, dass meine Frau ziemlich gradheraus war. Sie hat ihn einen braunen Feigling genannt, weil er überall herumgeschlichen ist und den Leuten nachspioniert hat. Da hat er sie beim Gauleiter verpfiffen, und der hat gesagt, dass sie so was nie mehr sagen darf, weil er sie sonst nach Dachau schickt. So war das!»
«Und dann hat sie es nicht mehr gesagt?»
«Nein, nur noch gedacht. So war das damals.» Er trank des Rest des Himbeergeistes.
«Wissen Sie, was der Dobler nach dem Krieg gemacht hat?»
Der alte Mann lachte auf, stellte das Glas mit einem Knall auf den Tisch.
«Der hat sofort umgeschwenkt und die Nazis an die Amis verpfiffen, auch solche, die es nicht waren. Aber das haben die Leut ihm nicht lang durchgehen lassen. Da hat’s Drohungen gegeben, und eines Tages war er weg. Hab ungefähr seit 1948 nie wieder was von ihm gehört. Warum fragen Sie eigentlich nach dem Dobler? Der ist doch bestimmt schon lang tot.»
«Bis vor einer Woche hat er noch gelebt.»
«Schau an.» Er betrachtete die Flasche, schien einen weiteren Schluck zu erwägen, wandte sich dann aber jäh zu Laura um. «Dann stimmt wahrscheinlich was nicht mit seinem Tod, oder?»
«So kann man’s sagen. Er ist vergiftet worden.»
«Soso, vergiftet.»
«Ja, vergiftet.»
«Wird auch so um die neunzig gewesen sein, der Dobler.»
«Ja.»
«Da hat jemand lang nach ihm gesucht, wie!» Er verzog das Gesicht zu einem schiefen Lächeln.
«Haben Sie eine Ahnung, wer das
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