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Wolfstod: Laura Gottberg ermittelt

Wolfstod: Laura Gottberg ermittelt

Titel: Wolfstod: Laura Gottberg ermittelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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verlockend, dass Guerrini seinen Ärger beinahe vergaß. Er streute einen Hauch geriebenen Parmesan über den Eintopf und ließ den ersten Löffel langsam über seine Zunge gleiten. Das Chiacchiera war eine seiner Lieblingsadressen, obwohl es inzwischen von Touristen entdeckt worden war. Zum Glück hatte der padrone jedoch sein Angebot nicht den neuen Kunden angepasst, sondern die Kunden seiner Küche. Und alle waren begeistert. Das einzige Gericht, das Guerrini noch nie hier gegessen hatte, waren die trippa alla fiorentina . Kutteln überließ er lieber den Deutschen, die vermutlich gar nicht wussten, was sie da auf dem Teller hatten.
    Während er seine Suppe löffelte, beschloss er, Elsa Michelangeli einen zweiten Besuch abzustatten und danach in Wasteland vorbeizuschauen. Tommasini hatte für den Nachmittag Altlanders Haushälterin dorthin bestellt.
    Es war gut zu arbeiten, denn der Gedanke, dass Laura am Donnerstag in Siena eintreffen würde, machte ihn inzwischen ganz unruhig. Er musste seiner Putzfrau noch einmal ins Gewissen reden, außerdem den Kühlschrank auffüllen, Blumen kaufen – und vielleicht endlich seinem Vater sagen, dass er eine deutsche Freundin hatte, doch zum Glück eine mit italienischer Mutter.
    Gleichzeitig fragte er sich, warum er sich gebärdete wie ein aufgeregter Jüngling. Er war immerhin beinahe 49, hatte eine Ehe hinter sich, kannte Laura seit fast einem Jahr. War sie nervös gewesen, als er Ostern zum ersten Mal nach München gekommen war?
    Natürlich. Sogar zugegeben hatte sie es. Warum also sollte er selbst sich nicht aufregen? Es war völlig normal, wenn man jemanden liebte. Er aß schneller, rief den Kellner herbei, während er noch seinen Eintopf löffelte. Der war neu hier in der Osteria, mit sommersprossigem Fuchsgesicht und roten Haaren, genetisches Überbleibsel irgendwelcher Invasoren, von denen weiß Gott genügend über die Toskana gekommen waren.
    «Il conto, per favore », sagte Guerrini mit vollem Mund.
    «Sofort, Commissario!»
    «Woher kennst du mich denn?»
    «Der Chef hat mir gesagt, wer Sie sind.»
    «Dann behalt es bitte für dich, ja?»
    «Ach, Sie sind incognito hier?»
    «Immer!»
    «Ich werde es mir merken, Commissario!»
    «Nicht so laut!»
    «Entschuldigung, Commissario.»
    Guerrini gab es auf. Der Mann am Nachbartisch starrte wieder über den Rand seiner Brille zu ihm herüber. Eine Gruppe englischer Touristen blieb genau vor Guerrinis Tisch stehen.
    «That’s it. Osteria Chia … Chia … cchiera!» Ein älterer Herr sah triumphierend von seinem Reiseführer auf. Er trug kurze Hosen, seine dürren Beine endeten in weißen Socken und braunen Sandalen.
    Madre mia , dachte Guerrini. Jetzt steht mein Lieblingslokal schon in Reiseführern. Er war geneigt, aufzustehen und den Engländern zu erklären, dass es hier nur Gerichte aus Kuheutern oder Schafsdärmen gebe und sie besser eine Pizza auf dem Campo essen sollten. Das wäre auch billiger.
    Aber er tat es nicht. Verzichtete stattdessen auf den Espresso, den er eigentlich immer nach dem Mittagessen trank, zahlte und ergriff die Flucht. Nein, er hatte ja nichts gegen Touristen – was wäre die Toskana, was Siena ohne sie. Bröckelnde Kadaver der Geschichte, mehr nicht. Man musste den Fremden dankbar sein, dass sie kamen und ihr Geld hierließen. Nur manchmal wurde es ein bisschen viel, wenn Fremde auch die letzten Festungen der Einheimischen eroberten.
    Er ging am Oratorium der heiligen Katharina vorbei hinunter zum Brunnenhaus Fonte Branda, einfach nur, um einen Blick auf die mächtige Basilika San Domenico zu werfen, die ihn immer aufs Neue erstaunte, obwohl er sie nun schon seit Jahrzehnten kannte. Immer wieder fragte er sich, wie die Dominikaner vor fast achthundert Jahren auf die Idee gekommen waren, solch eine monströse Kirche zu bauen. Braunrot stand sie auf dem Felsen, wie ein Gipfel der Dolomiten. Er musste den Kopf in den Nacken legen, so hoch ragte sie auf. Die hellen Sommerwolken schienen ihr Dach zu berühren. Tauben flatterten da oben, als wäre der heilige Geist soeben in vielfacher Gestalt herabgestiegen.
    Das war wahrscheinlich der Grund, dachte Guerrini in plötzlicher Erkenntnis. Sie wollten, dass die Menschen den Kopf in den Nacken legen müssen und das Gefühl haben, zu etwas Erhabenem aufzuschauen. Die Mächtigen hatten es schon immer gern, wenn man zu ihnen aufschauen musste. Außerdem hatte dieser Blick nach oben auch etwas Spirituelles. Vermutlich war beides richtig. Er wandte

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