Wolfstod: Laura Gottberg ermittelt
fühlte er sich selbst wie jemand, der zwei Tage im Graben gelegen hatte, wollte nichts, nur schlafen.
Er schlief. Unruhig. Fuhr gegen elf aus einem Traum hoch, hatte Laura im Graben liegen sehen. Ein Sanitäter beugte sich über sie und sagte: Sie wird’s nicht schaffen! Es dauerte ein paar Minuten, ehe er begriff, dass er die Szene geträumt hatte, dass er in seinem Bett lag.
Er hatte Kopfschmerzen, bewegte vorsichtig seinen Nacken hin und her. Endlich kroch er aus dem Bett, fühlte sich alt und dem Tag nicht gewachsen.
Laura lehnte im Zimmer ihrer Tochter an der Wand, die Arme verschränkt, und versuchte gelassen zu bleiben.
«Ist doch ganz praktisch für dich, wenn ich bei meinen Freundinnen übernachte oder zu Mittag esse. Dann hast du keinen Stress mit der Arbeit. So ist es doch!»
Das war der letzte Satz, den Sofia ihr hingeknallt hatte.
«Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn du bei einer Freundin übernachtest oder wenn deine Freundinnen bei dir übernachten. Ich hab nur was dagegen, wenn ich nicht weiß, wo du bist!» Das «verdammt nochmal» schluckte Laura runter.
«Aber ich hab es Luca gesagt!»
«Ja, ich weiß. Aber Luca ist dein Bruder und nicht deine Mutter. Manchmal sehe ich Luca zwei Tage lang nicht. Er ist beinahe siebzehn, Sofia. Wenn Luca weiß, wo du bist, dann weiß ich es noch lange nicht.»
«Und warum darf Luca zwei Tage lang unsichtbar bleiben und ich nicht?»
«Weil Luca fast siebzehn ist und du noch nicht mal vierzehn.»
«Und weil ich ein Mädchen bin, gib’s doch zu!»
Laura seufzte.
«Ja, auch weil du ein Mädchen bist, Sofia.»
«Das ist ungerecht, Mama!»
«Nein, es ist nicht ungerecht, Sofi. Würdest du bitte zu mir in die Küche kommen, wir trinken eine Tasse Tee zusammen, und ich versuche dir zu erklären, was ich meine.»
«Wenn’s sein muss.»
Widerstrebend folgte Sofia ihrer Mutter in die Küche, stellte sich auf den Balkon und schaute irgendwohin.
«Also, ich höre.»
«Komm bitte rein und hol zwei Tassen aus dem Schrank. Welchen Tee möchtest du?»
«Ist mir egal.»
«Sofi, so geht es nicht.»
«Wieso? Du willst doch Tee trinken.»
Laura versuchte, ihren Ärger zu verbergen und die Unfreundlichkeit ihrer Tochter zu ignorieren.
«Okay. Dann trinken wir eben keinen Tee. Würdest du dich bitte setzen.» Laura ließ sich auf einen der drei Küchenstühle sinken.
«Wieso denn? Ich kann doch auch stehen bleiben, oder?»
«Ich kann nicht mit dir reden, wenn du rumstehst, als würdest du gleich gehen.»
Sofia verzog das Gesicht und setzte sich auf die vorderste Stuhlkante. Sie wickelte eine Locke ihrer langen dunklen Haare um einen Finger und starrte auf den Boden.
«Also …?
Laura unterdrückte ein Lächeln, denn dieses «also» war typisch für ihre Tochter. Schon als ganz kleines Mädchen hatte sie stets erwartungsvoll «also» gesagt, wenn sie eine Geschichte hören wollte oder auf eine Antwort neugierig war. Leider klang das «also» diesmal keineswegs neugierig oder erwartungsvoll, sondern im besten Fall cool.
«Also», begann auch Laura, die nicht genau wusste, wie sie zu ihrer Tochter durchdringen sollte. «Du wirst es nicht glauben, Sofi, aber es gibt wirklich einen Unterschied zwischen siebzehn und vierzehn. Luca durfte damals auch nicht tun und lassen, was er wollte. Das kann er übrigens noch immer nicht. Er sagt mir immer, zu wem er geht und wo ich ihn erreichen kann.»
«Toller Bruder!»
«Ich hatte diese Auseinandersetzung, die wir gerade führen, auch mit ihm, Sofi. Also hab dich nicht so. Ich liebe dich, deshalb mache ich mir manchmal Sorgen.»
«Jetzt sagst du wahrscheinlich gleich, dass ich nicht mit fremden Männern gehen soll und all das …» Sofi zog die Nase kraus und war noch immer nicht zum Einlenken bereit.
«Natürlich sag ich das, und dein Vater sagt es auch und dein Großvater ebenso. Vielleicht ist es besser, du unterhältst dich mal mit den beiden, sie sind schließlich Männer und wissen Bescheid!»
«War’s das?»
Laura nickte. Sofia sprang auf und ging zur Tür.
«Ich muss noch meine Englisch-Hausaufgaben machen.»
Weg war sie. Dabei hätte Laura gern gemeinsam mit ihr gekocht, ihr zugehört und mit ihr gelacht.
Dann eben nicht, dachte sie und schenkte sich endlich eine Tasse Tee ein. Ich werde Ronald sagen, dass er ihr klare Verhaltensregeln geben muss. Er hat so eine Art, sich beliebt zu machen und ihr alles zu erlauben. Grimmig begann sie Gemüse zu schneiden, um eine chinesische Reispfanne
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