Wolfstod: Laura Gottberg ermittelt
Unterstützung?»
Guerrini antwortete nicht, war schon auf dem Weg durch die dunklen Gassen, fluchte, weil er all den Einbahnstraßen folgen musste, war endlich draußen auf der Straße nach Asciano, fragte sich, ob er nicht doch einen Kollegen hätte mitnehmen sollen. Die Nacht war weit und leer, kein einziges Fahrzeug begegnete ihm, und er brauchte nur knapp zwanzig Minuten zum Haus der Malerin. Hell erleuchtet stand es auf dem Hügel. Irgendwer schien sämtliche verfügbaren Lampen eingeschaltet zu haben. Guerrini ließ seinen Wagen am Anfang der kleinen Allee stehen und ging zu Fuß weiter, hielt sich im Schatten der Bäume, lauschte ab und zu. Aber es war nichts zu hören, nicht einmal der Wind, der sonst immer hier oben wehte. Der Platz vor dem Haus war leer, die Eingangstür stand offen. Guerrini näherte sich dem Haus von der Seite, schlich geduckt unter den Rosenbüschen entlang, blieb ein paarmal an den Dornen hängen. Als er die offene Tür erreichte, horchte er wieder. Nichts. Er nahm die Pistole aus seiner Jackentasche und entsicherte sie. Die Tür knarrte ein wenig, als er sie weiter aufschob, er horchte. Wieder nichts. Niemand war in der Halle, aber etwas hatte sich verändert. Alle Schubladen der alten Kommode waren herausgezogen und offensichtlich durchwühlt worden.
Auf Zehenspitzen bewegte Guerrini sich weiter zum Wohnzimmer, auch hier brannten alle Lichter. Die Sofapolster lagen am Boden, das Bücherregal war umgestoßen worden. Ein Bücherberg ragte in der Mitte des Zimmers auf. Für den Bruchteil einer Sekunde erschien der einäugige Kater in der Terrassentür, fauchte und verschwand.
Guerrini stieg über die Scherben einer zerbrochenen Bodenvase, schaute in die Küche. Auch hier herrschte Chaos. Er bewegte sich jetzt schneller, lief die Treppe zum Atelier der Malerin hinauf. Dort sah es noch schlimmer aus. Jemand hatte mehrere Gemälde aufgeschlitzt und von den Wänden gerissen. Das Schlafzimmer nebenan war völlig auf den Kopf gestellt worden, die Kleider lagen vor dem Schrank auf dem Boden verstreut, die Matratze war aufgerissen. Aber keine Spur von Elsa Michelangeli. Guerrini war jetzt überzeugt, dass sie versucht hatte, ihn zu erreichen.
Und er war auch überzeugt, dass sich außer ihm niemand mehr in diesem Haus aufhielt. Wer immer es durchwühlt hatte, war längst fort. Er sicherte seine Pistole und schob sie wieder in die Jackentasche. Er hasste entsicherte Pistolen.
Elsa Michelangeli blieb unauffindbar, obwohl er auch Garten und Geräteschuppen, Garage und Keller durchsuchte. Er setzte sich auf die niedrige Mauer vor dem Haus und rauchte eine imaginäre Zigarette. Wieder tauchte der Kater auf und starrte ihn an.
Plötzlich fielen ihm die Lichter des Autos ein, die er gestern Nacht von Wasteland aus gesehen hatte. Jenes Wagens, der wieder verschwunden war, ehe Enzo Leone kam. Gleichzeitig dachte er an Elsa, die unter der Zypresse gesessen hatte und allein sein wollte. Die mindestens drei Kilometer zu laufen hatte – von jener Zypresse zum Haus. Und er hatte schon den halben Weg zu seinem Auto zurückgelegt, ehe die Schreckensvision in aller Deutlichkeit vor seinem inneren Auge Gestalt annahm.
Er fuhr los, bog in den Feldweg ab, blendete seine Scheinwerfer auf. Schritttempo, das Seitenfenster offen, alle Sinne in Alarmbereitschaft. Ein paarmal stieg er aus, untersuchte den Graben, meinte etwas gesehen zu haben. Doch immer war es nur ein Felsbrocken oder ein Ast. Jetzt konnte er nicht mehr weit von der Zypresse und dem Marienschrein entfernt sein. Vielleicht hatte er sich doch getäuscht. Aber jetzt erinnerte er sich wieder an ihren Blick, als er sie am Nachmittag angesprochen hatte. Sie war erleichtert gewesen. Wen hätte sie sonst erwarten können? Jemanden, vor dem sie sich fürchtete, der ihr unangenehm war, der sie bedrohte?
Da war der Schrein, die Zypresse. Guerrini stieg aus, nahm seine Taschenlampe aus dem Handschuhfach und folgte zu Fuß dem Feldweg. Zikaden schnarrten, es roch nach feuchter Erde. Guerrini untersuchte den Weg, fand frische, sehr breite Reifenspuren, ging schneller. Die Spuren endeten, der Wagen hatte gewendet. Guerrini leuchtete die Umgebung ab. Sonnenblumen wuchsen aus der Finsternis, hatten nichts mehr von der freundlichen goldenen Fülle des Tages – ähnelten eher den schwarzen bedrohlichen Blüten auf Elsas Gemälden. Und dann lag da ein Schuh. Guerrinis Herz klopfte nicht schneller, nur irgendwie lauter und seltsam schmerzhaft.
Er fand Elsa
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