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Wolfstränen - Roman (German Edition)

Wolfstränen - Roman (German Edition)

Titel: Wolfstränen - Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Farmer
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Wahrscheinlich sind ein paar Nerven zerschnitten worden. Deshalb ihre Schmerzen und das Fieber. Pah! Manche Quacksalber können gar nicht früh genug mit der Säge arbeiten. Ich verabscheue so was. Wir ´aben doch nur zwei Arme, oder?«
    »Nerven zerschnitten?« Bernard fuhr auf. »Dann werde ich also ein Krüppel bleiben?!«
    Der Alte drückte ihn sanft zurück.
    Meggys Gesicht war eine Maske aus Wachs. Falls sie trauerte, sah man es ihr nicht an. Der Alkohol hatte sie versteinert.
    »Unsinn! Sie ´aben gute Freunde. Die werden Ihnen ´elfen. In ein paar Tagen wird es Ihnen besser gehen.«
    Von was, um alles in der Welt, schwatzte der Mann?
    Der Alte zog einen kleinen Beutel aus seinem Wams und schüttelte gut ein Dutzend sich windende Maden in seine Hand. »Freunde«, sagte er und grinste.

9
     
    Nell erwachte mit einem schrecklichen Brummschädel.
    Sie blinzelte, um die Schmerzen und den Nebel vor ihren Augen zu verscheuchen. Die Erinnerung überfiel sie mit aller Macht. Sie hatte einen schrecklichen Fehler begangen, hatte sich naiv verhalten wie ein kleines Mädchen und war von einem der Gauner, die sie und Blackhole vor dem Hall Inn überfallen hatten, entführt worden.
    Jetzt konnte sie sich auch erklären, warum dem Mann die Kleidung nicht gepasst hatte. Er mußte sie sich für die Entführung beschafft haben. Außerdem wurde ihr klar, warum dieser Kerl nicht überrascht war, daß Blackhole und Drought nicht in Stairfield House weilten. Er hatte die Abreise der beiden beobachtet.
    Nell hob ihren Kopf und blickte sich um. Man hatte sie in einen winzigen Verschlag gesperrt, dessen kleines Fenster mit Brettern vernagelt war.
    Sie war an Händen und Beinen gefesselt und lag auf einer Holzpritsche, deren Äste sich schmerzhaft in ihren Rücken bohrten. Unter ihr gluckerte Wasser. Es stank nach Abfällen und Moder. Man hatte sie irgendwohin ans Wasser verschleppt. Hoffentlich nicht nach Fishers Island. Dort hatte die Cholera begonnen.
    Es schauderte Nell, als sie an die Schreckensberichte dachte, die man sich von Fishers Island erzählte. Von Wasserstellen, in denen die aufgeblähten Körper toter Tiere trieben und von Menschen, die dieses Wasser in Ermangelung anderer Flüssigkeit tranken. Blackhole hatte Recht gehabt. London hatte seinen Charme verloren!
    Nell lauschte. Kratzende Rattenfüße auf Holz. Das Schlagen von Wellen tief unter ihr. Sie fühlte sich verlassen und alleine. Am schlimmsten quälte sie die Ungewissheit. Warum hatte man sie hierher gebracht?
    Sie verlagerte ihren Körper auf die Seite und versuchte, sich von den Fesseln zu befreien, mit dem Ergebnis, daß die Schnüre immer tiefer in ihre Haut schnitten. Sie hatte Hunger und Durst. Nur mit Mühe unterdrückte sie Tränen der Wut! Sie musste einen klaren Kopf behalten. Noch einmal wollte sie sich keinen Fehler erlauben.
    Das Wasserrauschen wurde lauter und Tageslicht drang in den Verschlag. Eine Bodenklappe wurde hochgeschoben und ein Frauenkopf erschien. Die Frau kletterte eine Leiter hoch und hielt eine Ölfunzel vor sich hin. Sie legte ihren Kopf schief und beäugte Nell, die sich nicht bewegte.
    Diese Frau mußte einmal eine wirkliche Schönheit gewesen sein. Wallendes Haar umrahmte ihren schmalen Kopf, und sogar die schmutzigen Lumpen konnten nicht verbergen, daß ihre Figur schlank und wohlproportioniert war. Alles in allem war diese Frau eine symphatische Erscheinung und Nell atmete erleichtert aus.
    »Wie geht’s dir?«, fragte die Frau. Ihre Stimme klang rauh und deutete auf übermäßigen Alkoholgenuss hin.
    »Wo bin ich?«
    Die Frau lächelte und entblößte makellose Zähne, was selten war, vor allen Dingen bei Menschen, die sich ungesund ernährten und in den Gassen der Stadt vegetierten. »Das is‘ egal! Ich bin Meggy. Ich hab‘ dir was zu essen mitgebracht!«
    Erst jetzt bemerkte Nell das Körbchen.
    »Is‘ nix Gutes und viel isses auch nich‘ ... wir hab’n ja selber kaum genug, aber es wird dich satt machen.« Sie lächelte immer noch. »Du hast doch Hunger, oder?«
    Vielleicht wäre es dieser Meggy lieber gewesen, Nell hätte verneint, aber den Gefallen tat sie der Frau nicht, also lächelte sie zurück und bejahte.
    »Wie heißt du?«, fragte Meggy und schob den Korb zu Nell herüber.
    »Entführt man bei euch immer Leute, deren Name man nicht kennt?«, fuhr Nell auf.
    Meggy zuckte mit ihren Schultern. »Ich hab‘ nix damit zu tun. Genaugenommen wär‘ ich nich‘ mal einverstanden damit gewesen, aber mich hat keiner

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