Wolfstraeume Roman
Zellebene bewirken.« Er nahm meine Hände. »Verstehst du, was das heißt, Abs? Ich muss endlich keine Angst mehr haben, dass die Krankheit meiner Mutter eines Tages auch bei mir ausbrechen könnte.« Er holte tief Luft. »Ich werde nicht verrückt.«
Die mitochondriale DNS, dachte ich, vererbt über die Mutter. Knox hatte jedoch nichts davon gesagt, dass eine Infektion durch den Lykanthropievirus eine Art von Heilung mit sich bringen könnte. Ich atmete tief durch, löste meine Hände aus Hunters Griff und trank einen Schluck von dem Champagner-Cocktail. »Und was geschieht jetzt?«
Hunter kippte den restlichen Gin Tonic auf einmal hinunter und gab dem Kellner ein Zeichen, ihm einen neuen zu bringen. »Das weiß ich nicht. Das ist je nach Mensch verschieden. Die meisten entwickeln nur ein paar wölfische Eigenschaften – wie zum Beispiel ein besseres Gehör, einen ausgeprägteren Geruchssinn, einige Veränderungen im Muskel- und im Skelettaufbau.«
»Auch eine stärkere Körperbehaarung?«
Er achtete nicht auf meinen schwachen Versuch, einen Witz zu machen. »Magda zufolge kommt es sehr selten zu
einer völligen Verwandlung des Körpers. In ihrer Familie ist sie die Einzige, die dazu in der Lage ist. Aber ich kann bereits den Unterschied spüren, Abs.« Er lehnte sich zurück und stützte die Arme auf der Rückenlehne des Stuhls ab. Ein Geschäftsmann starrte zu uns herüber. Ich kann den Unterschied auch spüren, dachte ich. Du bist dabei, den Verstand zu verlieren.
»Dann hoffst du also, auch deine Gestalt verändern zu können?« Ich bemühte mich, so professionell und sachlich wie möglich zu klingen, um Hunter nicht zu zeigen, was ich in Wahrheit dachte. »In die eines Wolfes?«
Mein Mann wirkte so aufgeregt wie selten. »Es besteht nur eine winzige Chance. Aber ich habe das Gefühl, dass es bei mir wirklich der Fall sein könnte.«
Vor Nervosität kippte ich den Rest meines Cocktails zu rasch hinunter. Ich verschluckte mich und hustete.
»Alles okay, Abs?«
Noch immer hustend nickte ich. Während ich mir mit der Serviette die tränenden Augen abtupfte, dachte ich nach. Am liebsten hätte ich Hunter vorgeschlagen, einen Psychiater aufzusuchen – falls es eine höfliche Art gab, so etwas vorzuschlagen. Vielleicht konnte ich ja auch Lilliana um Hilfe bitten.
Doch dann fiel mir ein, was Knox im Labor gesagt hatte. Ich wollte zwar nicht glauben, dass ein Mensch seine Gestalt änderte, ehe ich es nicht mit meinen eigenen Augen gesehen hatte. Aber auch die Vorstellung einer rekombinanten DNS hatte ursprünglich ziemlich weit hergeholt geklungen, bis es gelungen war, menschliche Gene in Bakterien zu injizieren und Insulin in einer Petrischale zu produzieren. Ganz offenbar hatte mein Mann einen seltenen
Virus aufgeschnappt, dessen Auswirkungen sich noch nicht überblicken ließen.
Plötzlich fiel mir etwas ein. »Kann ich mich anstecken? Und was passiert, wenn man nicht die richtigen genetischen Voraussetzungen hat und dem Virus ausgesetzt ist?«
»Ach, Liebes.« Hunter streckte erneut die Hand aus und nahm die meine. »Dann passiert gar nichts. Mit neunundneunzig Prozent der Leute, die dem Virus ausgesetzt sind, geschieht gar nichts. Ansteckend ist er auch nicht, es sei denn, er befindet sich bereits in deinem System. Ich weiß ja nicht einmal, ob sich weitere Anzeichen bei mir zeigen werden.««
Der Kellner brachte Hunters zweiten Drink, den dieser erneut hinunterkippte, wie wenn es sich um Wasser handelte. »Ach, Abs, ich wünschte, du hättest die Karpaten gesehen. Ich kann dir gar nicht sagen, wie herrlich sie sind. Hier in dieser urbanen Umgebung klingt das alles etwas lächerlich und fast kitschig. Aber dort... dort stimmen solche Worte wie >zeitlos< oder >urtümlich<. Das passt zu dieser ungewöhnlichen Atmosphäre. Die Landschaft ist so schön, dass es dir den Atem verschlägt. Sie ist sogar beinahe übernatürlich schön. Ein magischer Ort. Ich bin zum Beispiel auf eine Anhöhe gestiegen, und dort oben schien sich die Welt in Nichts aufzulösen. Es zählte nur noch das Hier und Jetzt. Ich habe meine Hand auf einen alten Baum gelegt und hatte das Gefühl, seine uralte Seele berühren zu können. Wahnsinn.«
»Das klingt unglaublich.« Zu meiner Erleichterung wirkte ich gefasst und ruhig.
»Ja, wirklich unglaublich.«
Für einen Augenblick sagte keiner von uns ein Wort.
Es herrschte ein seltsames Schweigen. Ich begann erneut, mir Sorgen zu machen. Die Nackenhaare stellten sich mir auf. Was
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