Wolfstraeume Roman
wäre es lieber, wenn ich mich um den alten Kasten kümmerte als der Hausmeister, der jetzt da wohnt. Dort kann ich schreiben und recherchieren. Ich habe Platz, und draußen vor der Haustür fängt gleich die wilde Natur an. Außerdem liegt Northside nur zwei Stunden von New York entfernt. Wir könnten einander also problemlos besuchen.««
Jetzt ergab das Ganze einen Sinn. Ich konnte zwar nicht recht glauben, dass er mich mehr als diese andere Frau liebte, die seine Fantasie derart beflügelt hatte. Aber ich war mir gleichzeitig auch sicher, dass Hunter nicht dafür geschaffen war, die zweite Geige zu spielen – nicht einmal in der Liebe. Nachdenklich nippte ich an meinem Wein. Die Geräusche der anderen Gäste im Hintergrund – ihre Stimmen, ihr Gelächter und das Klappern von Geschirr – wurden lauter.
Ich holte tief Luft. »Und wann willst du umziehen? Schon bald?«
»Ich hatte geplant... in einer Woche.« Hunter hielt inne, als merke er erst jetzt, dass wir zwei verschiedene Sichtweisen hatten. Und dass nur die seine die eines glücklichen Menschen war. »Abs. Abs, warum weinst du denn?«
»Weil ich dachte, dass du mich verlässt.«
»Ach, Liebling! Nein, ich verlasse dich nicht«, erwiderte er zärtlich. »Es wird nur so sein, wie wenn ich auf Reisen gehe. Nur dass ich dich diesmal viel öfter sehen kann. Ach, komm schon, Abs. Du musst nicht weinen. Ich liebe dich doch!« Er lehnte sich über den Tisch und gab mir einen Kuss. »Jetzt lächle wieder. Los, das ist ein Befehl!««
»Entschuldige, tut mir leid.« Ich begann zu lachen, während mir die Tränen über die Wangen liefen. In Restaurants machte ich normalerweise nie Szenen. Doch diesmal konnte ich nicht anders. Für den Augenblick war meine Erleichterung derart groß, dass ich wieder Appetit verspürte und meine kalte Suppe weiteraß. Immer wieder brach ich mir ein großes Stück Baguette ab und schob es in den Mund. Erst später, als wir über die Einzelheiten seines Umzugs sprachen und überlegten, was wir mit seinem Hasen und
meinen Artischocken machen sollten, wurde mir bewusst, was das für mich hieß.
Ich hatte mich so sehr davor gefürchtet zu erfahren, dass Hunter eine Affäre hatte und sich von mir trennen wollte, dass mir sein Umzug nach Northside geradezu lächerlich harmlos erschien. Er hatte meine Tränen der Erleichterung für ein Zeichen meiner Traurigkeit gehalten und deshalb beteuert, wir würden uns nicht trennen.
In Wahrheit jedoch taten wir das sehr wohl. Wir würden eine ganze Weile lang nicht zusammenleben. Wenn eine Ehe so großzügig ausgelegt wird wie die unsere, fällt es schwer, zu merken, wann es zu einem echten Bruch kommt. Bisher war Hunter oft monatelang verreist gewesen, doch an einem anderen Ort ganz in der Nähe hatte er noch nie gelebt. Während wir also über die Einzelheiten seines Umzugs sprachen – wie viel Geld für die Ausgaben in New York beiseite gelegt werden sollte und wie viel für ein Auto, das er sich anschaffen wollte -, wurde mir immer bewusster, dass wir im Grunde doch über die Einzelheiten einer Trennung sprachen.
Ich blickte Hunter an, der seinem Kaninchen das Bein amputiert hatte und jetzt genussvoll in das Fleisch biss. »Wahrscheinlich werden wir uns dann dieses Jahr in der Weihnachtszeit nicht allzu oft sehen«, sagte ich.
»Wahrscheinlich nicht. Dafür aber an den meisten Wochenenden, Schatz. Mach dir keine Gedanken. Das schaffen wir bestimmt.««
An den meisten Wochenenden musste ich arbeiten. Wenn ich Glück hatte, blieb mir oft nur ein freier Tag in der Woche. Und ich besaß kein Auto. Der nächste Bahnhof befand sich vierzig Minuten von Hunters Haus entfernt.
Insgesamt brauchte man fast drei Stunden für die Fahrt.
Erneut ergriff er meine Hand. »Du könntest natürlich auch mit umziehen.«
Ich fühlte mich, als müsste ich eine schwierige OP über mich ergehen lassen, während die Umstehenden ständig beteuerten, dass alles in Ordnung sei. »Das geht doch nicht, Hunter.«
»Dann sehen wir uns eben, so oft wir können. Das wird schon gehen, keine Angst.« Er gab Pascal ein Zeichen, dass er zahlen wolle, ohne mich vorher zu fragen, ob ich gern noch einen Nachtisch hätte.
Als wir zu Hause eintrafen, stellte ich fest, dass meine Wimperntusche verschmiert war und ich wie ein Waschbär aussah. Hunter, der betrunken und glücklich wirkte, ging zur Abwechslung einmal sofort zu Bett. Er schlief augenblicklich ein, das Gesicht dem Fenster zugewandt. Vermutlich träumte er von
Weitere Kostenlose Bücher