Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wolfswechsel - Aktionspreis für begrenzte Zeit (German Edition)

Wolfswechsel - Aktionspreis für begrenzte Zeit (German Edition)

Titel: Wolfswechsel - Aktionspreis für begrenzte Zeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Gray
Vom Netzwerk:
irgendein armes Schwein aufzuschneiden.
    „ Sie sind wahnsinnig, Berg. Was meinen Sie, wo ich herkomme? Das war kein Sanatorium, sondern ein KZ. Und tun Sie jetzt bloß nicht, als wüssten Sie nicht ganz genau, WOVON ich rede. Ich habe seit Jahren keinen richtigen OP-Saal mehr von innen gesehen. Was ist, wenn mir der Kerl unter den Händen wegstirbt?“
    Ich hatte keine Wahl.
    Berg kramte aus einem Aktenstapel neben dem Bett die Röntgenbilder hervor. Heftete sie mit seiner Schlipsklammer an den Spiegel. 
    „ Er wird nicht sterben, Bronstein. Sie können es sich nämlich nicht leisten, ihn sterben zu lassen. Der Mann heißt von Kramer und sein Vater wird mich hier herausholen, verstehen Sie? In spätestens drei Wochen überrennen die Russen die Grenze. Aber ich will nicht hier sein, wenn sie kommen. Ich bin CHIRURGIEPROFESSOR. Ich habe MINISTER behandelt. Ich habe FÜRSTEN aufgeschnitten. Ich habe Frau und Kinder zu Hause. Ich habe die Schnauze voll von diesem beschissenen Krieg. Ich habe es nicht VERDIENT, hier am Arsch der Welt von einem russischen Halbaffen über den Haufen geknallt zu werden….“
    Ich hätte ihm widersprechen sollen. Ich hatte zu viele Leute gesehen, die, wären sie nicht als Rauch aus einem Schornstein geendet, mit weitaus größerer Berechtigung hätten behaupten können, dass sie das, was mit ihnen geschah, ganz und gar nicht verdient hatten.
    Stattdessen traf ich eine Entscheidung und vertiefte mich in die Röntgenbilder am Spiegel.
    Metall und Knochenreste, die sich tief in die Hirnrinde des Mannes gebohrt hatten. Zweifellos eine schlimme Verletzung. Allein aber weder lebensbedrohlich noch für einen Mann mit Bergs Erfahrung wirklich inoperabel. Erst auf dem zweiten Röntgenbild, das ich mir ansah, zeichnete sich ein veritabler Tumor im Vorderhirnbereich ab.
    So nah bei einem großen Blutgefäß, das mir für einen Augenblick bereits bei dem Gedanken, dort entlang schneiden zu müssen schwindelig wurde.
    „ Er hat `n Blechkreuz gekriegt. Erster Klasse mit Autogramm vom GRÖFAZ höchstpersönlich.
    Seine Männer sagen, er sei ganz allein nur mit seiner Pistole auf ein russisches Maschinengewehrnest losgestürmt. Vier von ihnen hat er fertig gemacht, bevor ihn der Kopfschuss erwischte.
    Wenn das mittelgroße Gliom da in seinem Hirn schon für `n Blechkreuz ausgereicht hat, möchte ich besser gar nicht erst wissen, wie es wohl im Hirn eines Ritterkreuzträgers aussieht.“  
    Man wusste damals nur sehr wenig darüber, wie ein Hirntumor zu Persönlichkeitsveränderungen führen konnte. Doch viele glaubten trotz allem, dass so etwas in bestimmten Fällen möglich sein konnte. Wenn Bergs Schilderung der Wahrheit entsprach, konnte sich der Tumor durchaus als die tiefere Ursache jener selbstmörderischen Haltung seines Patienten herausstellen.
    Er hatte die Fahrkarte nach Hause vor sich - gekauft und bezahlt. Dennoch wusste er so sicher, wie Regen nass ist, dass er nicht mehr fähig dazu war, sie auch zu lochen, weil es ihm seine Sucht und Angst vor einer so komplizierten OP nicht mehr gestatteten.
    Nein, Berg würde mich an keine Wand stellen lassen. Ganz im Gegenteil. Für ihn war ich ein Geschenk des Himmels. Ich war seine letzte Chance hier heraus, bevor mit den Russen die Götterdämmerung kam.
    Ich griff nach der Spritze, rollte meinen Ärmel auf und jagte mir ihren Inhalt in den Körper.
    „ Was ist nun Bronstein  schneiden Sie ihn auf, oder soll ich die Wache rufen?“
    Ich legte die Spritze weg und sah ihn an. Berg hatte Angst. Und plötzlich genoss ich diese Angst. Ich genoss wie seine Angst Stück für Stück meine eigene verdrängte.
    „ Ich schneide Ihren Helden auf. Aber ich tue es allein.“
    Das traf ihn. Der große Berg, der in den Augen seines kleinen ehemaligen Assistenten nicht mal mehr als Handlanger taugte. 
    Ich stand vor dem Glasschrank in dem unter Leinentüchern das OP-Besteck ausgebreitet lag. Genau das passte zu ihm: der Rest des Hauses mochte in Dreck, Gestank und Blut versinken, aber seine OPs hielt Berg hier so sauber wie er es in Berlin getan hatte.
    Ich schlug die Tücher beiseite. Ich fuhr mit den Fingern über das Besteck, darunter. Glänzendes, in sinnvolle Formen gebrachtes Metall.
    Verrückt: aber vor dem Schrank mit dem Besteck darin war ich ein paar Sekunden lang wirklich glücklich. Das war eine Zeitreise in die Vergangenheit. Man hat ganz vergessen, dass es noch etwas anderes gibt. Bis man plötzlich wieder darauf stößt, und auf einmal weiß,

Weitere Kostenlose Bücher