Wolfswechsel - Aktionspreis für begrenzte Zeit (German Edition)
das es nie weit weg war. Es kommt dir so vor als hättest du die ganze Zeit nichts anderes tun müssen, als die Finger danach auszustrecken. Hier war nicht das Lager. Hier dienten die Bestecke nicht dazu Menschen aufzuschneiden, um ihnen wie Spielzeugeisenbahnen in den Bauch zu glotzen.
Einen Augenblick schaffte ich es tatsächlich mir einzureden, ich sei einfach Dr. Dimitri Bronstein aus Berlin. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Nach dem Anblick des Bestecks hätte ich nicht mehr gehen können, ohne getan zu haben, wozu Berg mich drängte.
Ich glaube, damals begann mein Weg zurück. Nicht dahin, wo ich einmal gewesen war. Dimitri Bronstein war tot. Genauso tot wie all die anderen, die als Rauch im Schornstein endeten. Nichts ist umsonst. Nicht in dieser Welt, nicht in jener anderen, die ja vielleicht doch irgendwo existiert.
Den Weg zurück gab es nicht umsonst. Und er war länger, als ich für möglich gehalten hätte. Aber ich bin ihn gegangen. Ich habe den Preis dafür bezahlt. Und in gewisser Weise tue ich das heute noch. Gegen morgen, wenn statt Träumen Dämonen kommen.
„ Ich will Musik, Berg. Treiben Sie ein Radio auf.“
Berg nahm es wie einen Schlag ins Gesicht. Seit Jahren hatte mir nichts soviel Freude bereitet.
Dann teilte ich ihm mit, dass draußen jemand auf mich wartete und ging. Er hielt mich nicht zurück. Blieb stumm und geschlagen in seiner Kammer auf dem Stuhl hocken.
Max hatte die Pferde bei dem Mann untergestellt, der die Toten mit dem Leiterwagen zum Friedhof brachte, und teilte sich bei der Tür am Ende des Ganges eben mit den beiden Wachen eine Zigarette.
Ich gab ihm einen Wink. Er folgte mir nach draußen vor die Tür.
Es war dunkel geworden. Aber der Wind hatte sich gedreht. Es war fast warm draußen. Dieser Wind erinnerte mich an die Winter am Meer. In manchen Winternächten wehte auch dort so ein warmer Wind von der See her weit ins Land hinein. Strich tröstend über die Dünen und Krüppelkiefern. Und zeigte an, dass noch Tage umso härteren Frosts folgten.
PARIS /1969
Kommissar Claude Rabier sass an einem Schreibtisch und blätterte in vergilbten Papieren.
Sein Assistent Molet lehnte an der Wand neben der Tür und rauchte eine Zigarette.
„ Was hat der Chef gesagt?“.
Rabier legte ein Dokument von einem der beiden Stapel, die er vor sich aufgebaut hatte, auf den nächsten.
„ Das wir in der Klemme sitzen. Das Außenministerium will keinen Ärger mit den Polen. Aber der SDCE reibt sich die Hände. Sie meinen, unser Kunde hätte zu Hause in Warschau so ziemlich jedes hohe Tier schon unter dem Messer gehabt. “
Molet trat zum Tisch, drückte die Zigarette im Aschenbecher aus.
„ Ich nehme an, die sind scharf drauf, ihn sich unter den Nagel zu reißen?“
Rabier nickte. Sah auf seine Uhr.
„ Ich fürchte für ein paar hohe Tiere wird die Nacht ziemlich kurz.“
„ Das heißt?“
Rabier hob ein Dokument vom rechten Stapel auf, hielt es gegen das Licht der nackten Glühbirne, die von der Decke hing.
„ Ich wusste es – das ist der Haftbefehl gegen Dimitri Bronstein, Arzt, zuletzt wohnhaft in Berlin. Illegaler Emigrant und Engelmacher.“
Rabiers glattes unauffälliges Gesicht durchzog ein feines kaum merkliches Lächeln.
„ Das heißt, wenn die Nacht für die hohen Tiere kurz wird, wird sie das für uns erst recht. Treiben Sie eine Sekretärin auf, Molet. Und Kaffee – jede Menge Kaffee…“
Molet trat an die Tür. Zögerte. Kam zurück. Stützte die Hände auf den Tisch, sah Rabier herausfordernd an.
„ Wieso machen die so ein Tamtam deswegen? Der ganze Aufwand, nur um herauszukriegen, wer von den Kommunisten da drüben sich von Bronstein seinen Blinddarm herausnehmen lässt?“
Rabier hob den Kopf. Erwiderte Molets Blick.
„ Der SDEC sagt, unser Kunde muss so ziemlich der einzige Mensch auf dieser Seite des eisernen Vorhangs sein, der den Mann ohne Gesicht identifizieren kann.“
Molet blies die Wangen auf.
„ Den Chef der ostdeutschen Spionage?“
Rabier nickte.
„ Wieso zum Teufel haben die so ein Goldstück dann rüber gelassen?“
Rabier antwortete nicht. Aber nachdem Molet gegangen war, legte er die Füße auf den Schreibtisch, und nahm von dem Dokumentenstapel vor ihm ein zerknittertes Polizeifoto auf.
„ Wieso bist du hier, Bronstein?“, flüsterte er. „Wieso musste es ausgerechnet Paris sein? Und wieso verdammt noch mal haben sie dich überhaupt aus deinem schönen sicheren Warschauer Stall gelassen?“
Das Telefon
Weitere Kostenlose Bücher