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Wolken über dem Meer: Roman (German Edition)

Wolken über dem Meer: Roman (German Edition)

Titel: Wolken über dem Meer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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Dinge betrifft«, erwiderte Lily ruhig. »Mal sehen, was ich noch alles weiß. Du hast ihn geliebt – mehr als du es jemals für möglich gehalten hättest. Er war einfach umwerfend. Er hat dich in dem Glauben an die Liebe auf den ersten Blick bestärkt. Er wurde ein unverzichtbarer Teil deines Lebens. Trotz gewisser Unstimmigkeiten.«
    »Unstimmigkeiten«, wiederholte Marisa. Draußen an Deck erklärte Jude gerade, dass die Zunge eines jungen Blauwals genauso viel wog wie ein junger Elefant und sein Herz so schwer war wie ein Kleinwagen.
    »Ich spreche von den Lügen. Dass du nie wusstest, was du glauben solltest. Und dass du immer im Unrecht warst und er recht hatte. Und nicht zu vergessen, bestimmte Situationen, die dir Angst machten.«
    »Ja. Große Angst …«
    »Dir kamen gewisse Zweifel. Du hast dir manchmal keinen Reim auf bestimmte Dinge machen können, aber dir immer wieder eingeredet, dass du dich irrst. Du liebtest ihn schließlich, über alle Maßen. Deinen armen, verletzten Mann …«
    »Woher weißt du, dass er verletzt war?«
    »Das sind sie alle. Furchtbar verletzt.« Lily hatte einen spöttischen Zug um den Mund, als sie das sagte. »Und immerzu ist jemand anderer schuld daran, dass das Leben so hart mit ihnen umgesprungen ist.«
    »Du sagst es.« Marisa begann zum ersten Mal zu lächeln.
    »Angefangen bei den Eltern. Solche Männer hatten immer eine völlig verkorkste Kindheit. Wie aus einem Dickens-Roman, einschließlich bitterer Armut und einer barbarischen Bezugsperson, von der sie grün und blau geschlagen wurden …«
    »Womit sie ihre Grausamkeit uns gegenüber rechtfertigen.«
    »Klar, was sonst.«
    »Glaubst du, dass ihre Kindheit wirklich so schlimm war? Oder war auch das eine Lüge?«
    Lily nippte vorsichtig an ihrem Punsch. Sie schloss die Augen und dachte daran, wie oft sie sich die gleiche Frage gestellt und wie viele schlaflose Nächte sie damit verbracht hatte, Mond und Sterne zu betrachten und darüber nachzusinnen, warum solche Schicksalsschläge über Menschen hereinbrachen.
    »Mir tut jedes Kind leid, das geschlagen oder auf andere Weise verletzt wird«, antwortete sie schließlich. »Aber wenn ein erwachsener Mann das als Entschuldigung für seine Gewalttätigkeit gegenüber uns Frauen benutzt, kann ich nur den Kopf schütteln. Das kaufe ich ihm nicht ab. Deshalb ist die Frage, ob seine Kindheit wirklich so verkorkst war, für mich unerheblich.«
    »So habe ich das nie gesehen.«
    »Ist das einer der Gründe, warum er dir fehlt? Weil du ihn in die Arme genommen und getröstet hast? Und dich nun fragst, wie er ohne dich auskommen soll?«
    Marisa nickte, das Lächeln war verschwunden. »Ich bin Krankenschwester. Er hat mir oft gesagt, ich sei sein rettender Engel.«
    »Während er dir das Leben zur Hölle machte?«
    »Er hat mich nie geschlagen.«
    »Nein, hat meiner auch nicht. Aber es gibt schlimmere Arten, einen Menschen zu zerstören. Ich bin froh, dass du ihm entkommen bist. Es muss schlimm für dich gewesen sein, sonst wärst du nicht hierher ans andere Ende der Welt geflohen. Weit entfernt von deiner Freundin. Ich denke, was du wirklich vermisst, hat nichts mit ihm zu tun.«
    »Aber er hat eine große Lücke in meinem Leben hinterlassen.« Marisas Stimme klang so rauh wie die Rinde eines Baumes.
    »Es ist die Liebe, die du vermisst. Und den Traum. Den Traum von der Liebe, von der du glaubtest, sie bei ihm gefunden zu haben. Deshalb habe ich die Nanouks aus dem Frostigen Norden gegründet.«
    »Der Frostige Norden. Kanada.«
    »Denkst du etwa, dass sich der Name auf die Geographie bezieht? Mitnichten. Der Frostige Norden ist hier drinnen –« Sie berührte ihr Herz. »Der Frostige Norden war dort, wo wir gelebt haben, wo wir jemanden jahrelang geliebt haben. Du bist jetzt frei, Marisa. Willkommen im Tauwetter.«

    An Deck glaubte Rose, nie in ihrem ganzen Leben so glücklich gewesen zu sein. Ihre Geburtstagsparty war ein Erfolg auf ganzer Linie – ihre Freundinnen amüsierten sich prächtig. Captain Neill hatte ihnen Finnwale, Buckelwale, Minkwale, einen Blauwal und natürlich Nanny gezeigt und erzählt, dass Nanny und andere Belugas bei der Geburt hellbraun waren, sich aber jedes Jahr häuteten, bis sie mit sechs Jahren weiß wurden.
    Er lud die Mädchen ins Ruderhaus ein und ließ sie abwechselnd ans Steuer, den Kompass lesen, den Radarschirm beobachten und das Funkgerät einschalten, um anhand von Dr. Neills Berichten zu erfahren, wo sich Nanny und die anderen

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