Wolken über der Wüste
für eine so einfache Gabe waren. Und wie selbstverständlich sie sich mit diesem Leben abzufinden schienen. Keiner beklagte sich oder suchte bei irgendjemandem die Schuld für dieses offensichtlich armselige Leben. Es schien ihnen auch nichts auszumachen, dass unweit von der Grenze in einem reichen Nachbarland eine moderne große Stadt mit allem Komfort errichtet worden war, die es ohne weiteres mit Städten des Westens aufnehmen konnte. Viele Dorfbewohner waren dort gewesen in der Hoffnung auf ein besseres Leben und kehrten enttäuscht wieder zurück. Sie hatten nicht die Ausbildung und die Erfahrung mit den neuesten Techniken, um in der modernen Welt ihr Glück zu machen, ja, sie konnten meist noch nicht einmal lesen und schreiben.
Die Dorfbewohner waren Muslime, und die Ernsthaftigkeit, mit der sie ihre täglichen Gebete verrichteten, beeindruckte Brianne. Die Zeit schien in dieser Gegend der Welt stehen geblieben zu sein. Brianne konnte sich gut vorstellen, dass die Menschen vor tausend oder zweitausend Jahren genauso gelebt hatten.
„Du siehst so nachdenklich aus“, sagte Pierce, der mit einem Sack auf der Schulter neben ihr stehen geblieben war.
Sie lächelte leicht und stand stöhnend auf. „Ich war tief in die Vergangenheit abgetaucht. Ist es nicht merkwürdig, wie wenig sich hier in den letzten Jahrhunderten verändert hat? Diese Menschen sind bitterarm, und trotzdem wirken sie glücklich, auch ohne weltlichen Besitz.“
„Sie haben andere Wertvorstellungen als wir aus der materialistischen Welt.“ Er hob den Kopf und blickte um sich. „Saubere Luft, Zeit, wenig Verbrechen, keine Drogen oder Aggressionen.“ Er fing ihren erstaunten Blick auf und lächelte. „Ein Leben in der Natur und in kleinen Gemeinschaften, in denen jeder jeden kennt, hat viel für sich.“
„Aber es gibt eine Menge Krankheiten und kaum Krankenhäuser und Schulen.“
Er runzelte die Stirn. „Woher weißt du das denn?“
„Von Philippe Sabon. Er sagt, nur wenn in die Erziehung investiert wird, gibt es Hoffnung, aus der Armut herauszukommen.“
„Das stimmt.“ Er kniff die Augen zusammen und fixierte sie genau. „Ich hoffe, du hast dich von ihm nicht beeinflussen lassen.“
„Er mag vieles falsch sehen, und seine Methoden sind natürlich vollkommen abzulehnen, aber er hängt wirklich an seinem Volk und will ihm helfen.“
„Hast du eigentlich keine Angst mehr vor ihm?“
„Nein.“ Sie senkte den Kopf. „Er ist anders, als er wirkt. Ich möchte wetten, dass Kurt vieles von dem, was hier passiert, zu verantworten hat.“
„Dein Stiefvater?“ Pierce trat näher an sie heran. „Wie kommst du darauf?“
Sie blickte ihm in die schwarzen Augen. „Mr. Sabon hätte mit mir alles anstellen können, was er wollte. Oder mit dir. Aber er hat befohlen, dass uns nichts passieren dürfe. Er hat mir gesagt, dass der Söldnerangriff auf sein Volk nur gespielt werden sollte. Aber die Bomben und die Pistolenschüsse waren echt, oder?“
„Ja“, sagte Pierce knapp. „Muftis Verwandte haben gesagt, dass viele Leute ums Leben gekommen sind.“
Sie wurde blass.
Pierce wusste immer noch nicht so recht, was er davon halten sollte. „Willst du damit sagen, Sabon hatte keine Ahnung, dass hier scharfe Munition eingesetzt werden sollte?“
„Ja, genau das. Das zumindest hat er gesagt, und es hörte sich so an, als meinte er es im Ernst. Seine Großmutter ist hier geboren und hat ihr ganzes Leben hier verbracht. Er hat viele Verwandte hier. Mufti kann dir erzählen, was er alles schon für sein Volk getan hat, ohne dass die übrige Welt davon wusste. Warum sollte er so viele seiner Landsleute umbringen lassen, selbst wenn er auf diese Weise Schutztruppen eines anderen Landes für seine Ölfelder ins Land holen könnte?“
Diese Frage konnte Pierce auch nicht beantworten. Er merkte nur, dass auch sein Bild vom Monster Sabon sich zu ändern begann. „Ich weiß auch nicht.“
„Wenn nun Kurt selbst die Söldner angeheuert und hierher geschickt hat, zwar auf Philippes Befehl, aber mit anderen Instruktionen, als er mit Sabon abgesprochen hatte?“
In Pierce stieg die Wut hoch. „Dann kann er von Glück sagen, wenn er mit dem Leben davonkommt.“
„Genau. Aber er ist in Washington, und Philippe ist in seiner Hand. Kurt kann seinem Senatorfreund erzählen, was er will. Philippe kann sich nicht verteidigen. Wenn Kurt nun in Washington herumerzählt, Philippe sei ein Verrückter, der Krieg mit seinem Nachbarstaat anfangen
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