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Wolkenfern (German Edition)

Wolkenfern (German Edition)

Titel: Wolkenfern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanna Bator
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nicht mehr viele Worte mit seinem Vater, der ihn abgeschrieben hatte. Sobald die jüngeren Schwestern Ivos groß genug waren, um der Mutter in der Küche zur Hand zu gehen, wurde Ivo von dort verbannt.
    Nach dem College ging Ivo dazu über, in seiner Freizeit alle verfügbaren Kochkurse zu besuchen und Bücher über Desserts zu studieren. Er lernte die Namen exotischer Gewürze auswendig und die Kombination von Zutaten, von deren Existenz er vorher nicht einmal etwas geahnt hatte, er stand mit Notizbuch vor den Auslagen eleganter Konditoreien und bestellte auch in den exotischsten Restaurants immer Desserts. Zu Weihnachten fuhr er nach Hause und brachte seine selbsterdachten und -zubereiteten Delikatessen mit, die seine Angehörigen mit Abscheu erfüllten. Was für eine Scheiße hast du uns da mitgebracht?, schrie sein Vater mit übertriebenen Grimassen und streckte die Zunge mit der angekauten Süßigkeit heraus, um das Ausmaß seines Ekels zu zeigen. Kind, bring deinen Vater nicht so auf die Palme, er hat doch Asthma und ein schwaches Herz, sagte seine Mutter, doch der Sohn wusste, dass er seinen Vater endgültig auf die Palme treiben musste, damit John III Smith ihn mit einem solchen Fußtritt hinausbeförderte, dass John IV Smith weit genug flog, um außerhalb des Bannkreises seiner Familie zu landen, etwas, was er aus eigener Kraft nicht fertigbrachte. Schließlich waren es aber weder Heuschrecken in Zucker noch Ivos Faible für hautenge Hosen in lila, die für diesen Rausschmiss sorgten, sondern der Gärtner, mit dem ihn der Vater just an dem Tag erwischt hatte, an dem Ivo nach Hause gekommen war und der Familie mit wenig Erfolg seine Pläne für die Pariser Chocolaterie Le croissant du galant entwickelt hatte. Seitdem war er nicht mehr in Harrison gewesen und hat auch nicht vor, wieder hinzufahren, sein Kontakt mit der Familie beschränkt sich auf eine gelegentliche, inhaltsarme Korrespondenz mit seiner Mutter, die ihn in etwas verschleierter Form davon in Kenntnis gesetzt hat, dass er erst dann wieder nach Harrison zurückkommen darf, wenn er normal geworden ist. Normal, sagt Ivo und steckt sich eine Schokoladenbanane in den Mund, normal heißt – verheiratet. Mit einer Frau. Derzeit allerdings sieht es nicht nach einer Normalisierung aus, zwar ist der Kontakt zum Gärtner abgebrochen, doch Ivos Herz hat so viele Zimmer wie eine Kaserne, und eine Kaserne ist es auch, zu der es ihn derzeit immer wieder zieht. Bei Gelnhausen sind amerikanische Truppen stationiert, die gern die Lokale im Ort frequentieren und sich über das Bier auslassen, das zwar nicht so gut ist wie zu Hause, aber erträglich. Die Soldaten nehmen sich ein Mädel, oder auch einen Burschen, letzteres allerdings eher im Verborgenen, doch nicht minder erfolgreich. Zuerst knüpft man den Kontakt auf Distanz, später kommt man sich in den Ruinen der Barbarossa-Burg näher, die tagsüber die touristische Hauptattraktion des Städtchens ist. Ivo ist bereit, sich zum dritten Mal in seinem Leben auf den ersten Blick zu verlieben, als ihn ein Brief seiner Mutter erreicht, in dem sie ihm vom kritischen Gesundheitszustand des Vaters unterrichtet. Und davon, dass John III Smith nach einem Griff ans Herz und mehreren Stößen Asthma-Spray das Testament geändert habe – angesichts ausbleibender Normalisierung falle John IV Smiths Anteil am Erbe an die Kirche weißer Christen und an den Pastor, den Ivo als Kind mit eigenen Augen im weißen Kapuzenmantel gesehen hat. Le croissant du galant oder Ku-Klux-Klan – im Calypso hat niemand Zweifel daran, was die bessere Investition ist.
    Was nun? War es Sara, die den Vorschlag machte? Oder hat sie nur zuerst Dominika angeschaut und dann Ivo, als entstehe in ihrem Kopf ein Plan, der bald allen dreien überzeugend erscheint. Ivo legt die Schokoladenbanane beiseite, die er sich gerade in den Mund schieben wollte, fällt vor Dominika auf die Knie und fragt: Willst du meine Frau werden? Warum nicht?, antwortet Dominika.

VII
    Das ist also dieses Monster! Dominika sah auf den unscheinbaren Mann hinab, der da im Bett lag. Dieser Mann mit weichen Gesichtszügen und hellem Teint – das war das hasserfüllte Monster, der mächtige Poseidon, Besitzer eines Unternehmens für Badezimmereinrichtungen? John III Smith war kleiner, als sie erwartet hatte, und stiller. Er ist geschrumpft, erklärte Ivo, die Krankheit hatte ihn auf die Hälfte seiner Größe schrumpfen lassen. Ich heiße Dominika, stellte sie sich vor, ich

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