Wolkenfern (German Edition)
Als der kleine Ivo zum ersten Mal die Ritter des Ku-Klux-Klan in ihrer Berufskleidung sah, riss er vor Begeisterung und Bewunderung den Mund weit auf. Es waren nicht die Lehren des Pastor Robbs, die diese Wirkung taten, sondern der Anblick von Männern in weißen Kleidern mit Kapuzen, mit Kopfbedeckungen, die aussahen wie Feenhüte. Wie schön das war! Ich dachte: Das will ich auch!, erzählt Ivo weiter. Ich war vielleicht fünf oder sechs, bis dahin hatte ich Männer nur in Jeans und Flanellhemden gesehen, und hier trugen sie plötzlich lange weiße Kleider, und diese Stimmung, mit Kerzen in der Hand! Nicht nur die Mädchen konnten sich also als Feen verkleiden, nicht alle Jungs müssen langweilige Cowboys oder Generäle werden. Ivo hatte früher davon geträumt, sich als Nixe zu verkleiden, aber jetzt war sein Wunsch nur noch Fee! Die Männer in weißen Kleidern trugen Kerzen in der Hand, die Flämmchen warfen leuchtende Schatten auf ihre ernsten Gesichter, die Nacht war warm und schwer. Was für eine Nacht, meine Liebe!, seufzt Ivo theatralisch. Ich war so bewegt. Ich sah meinen Vater an. Gab es diese Kleider nur in weiß? In violett würden sie noch besser aussehen, dazu ein bisschen Schmuck und Rüschen, vielleicht eine Boa? Und die Schuhe! Papa, diese Schuhe, die sie anhaben, passen überhaupt nicht! Mein Vater war sehr enttäuscht. Ivo verzieht angewidert das Gesicht. Bis heute erinnere ich mich daran, wie er mich angeschnauzt hat, und das war der Anfang vom Ende unserer Beziehung. Doch John III Smith fügte sich damals nicht kampflos, nach dem Fehlschlag mit Ku-Klux-Klan wollte er in mir den Sinn für die Feinheiten männlicher Produktion wecken. Poseidon, ist das kein schöner Name? Die Poseidon-Werkhalle war groß und hell, und was gab es dort nicht an Wundern, meine Liebe!, erzählt Ivo. Toilettentüren aus durchsichtigem Plexiglas, in die Muscheln und Seesterne, kleine Fische, blaue Algen eingefügt waren, schöne Kompositionen, die die Unterwasserwelt nachahmten. Vergoldete, mit griechischem Mäandermuster, terrakottafarben, sienarot, darauf die Fresken aus Pompeji. Rafaels Engel! Die Venus von Botticelli! Monets Garten! Leonardos Madonna! Das war die Serie Art in Your Bathroom , erklärte John III Smith seinem Sohn. Toilettensitze, die die Flecken des Gepards, die Streifen des Zebras, die Zeichnung des Tigers imitierten, das alles gab es in der Serie African Exotica. Daneben die Blumenmuster: Lilien, Orchideen, Rosen, eine Riesenauswahl an Rosen, und diese Tulpen! Gelb auf Rosa, Weiß auf Gelb, Rosa auf Hellblau, hellblaue Vergissmeinnicht auf Rosa, Maiglöckchen, Maßliebchen und Stiefmütterchen wie echt, mit fleischigen, leicht pelzigen Blättern und mit dunklen Mittelpunkten. Na, welchen hättest du denn am liebsten, fragte mich der Poseidon-Besitzer. Und – was hast du dir ausgesucht? Dominika ist neugierig geworden. Stiefmütterchen! Das war die falsche Antwort. Warum nicht mit Autos, oder mit Superman? Oder wenigstens mit einem Tiger oder Elefanten? Stiefmütterchen! Das war ja zum Haareausraufen!
Auf die nächste Enttäuschung musste John III Smith nicht lange warten, dieses Kind mit abstehenden Ohren und mageren Gliedmaßen war das misslungenste Produkt, mit dem er je zu tun gehabt hatte. Alle seine Bemühungen schlugen fehl, ich saß lieber mit der Mutter in der Küche und half ihr, Kuchen zu backen, die ich mit Hingabe und Phantasie dekorierte. Als die Gattin dem Gemahl zum vierzigsten Geburtstag eine Torte überreichte, die mit hübschen gelben Klecksen in Form von Rosen verziert war, holte der Familienvater tief Luft, um die Kerzen auszublasen. Schöne Torte! Diese Torte, sagt Ivo, diese Torte war eines der ersten Zeugnisse meines Talents! Die Röslein auf der Torte hat unser John eigens für seinen Papa gemacht?, sagte meine Mama lobend, und dem Vater entfuhr die zum Ausblasen der Kerzen eingesogene Luft, als hätte ihn jemand mit der Nadel angestochen, und er lief rot an wie immer vor einem Asthma-Anfall. Das sind keine Röslein, erklärte ich, das sind Stiefmütterchen. Von da an bekam der Vater bei jedem Zusammenstoß mit seinem Sohn, manchmal auch bei seinem bloßen Anblick, einen Asthmaanfall. Die Mutter holte dann im Laufschritt den Inhalator, mit dem sie kurz darauf John III Smith zukorkte und dann mit einer Verve pumpte, als sei ihr Mann ein Fußball. Seitdem die mit Stiefmütterchen bedachte Torte durchs Fenster des adretten Hauses von Familie Smith geflogen war, wechselte Ivo
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