Wolkenfern (German Edition)
bin Ivos Frau. Der amerikanische Schwiegervater beäugte sie argwöhnisch unter seinen geschwollenen Lidern hervor. Polin? Ja. Dürres Besteck!, schnaubte er, die Speicheltropfen spritzten, seine Frau eilte mit einem Taschentuch herbei, doch er scheuchte sie mit einer Handbewegung fort wie eine Fliege. Das Oberhaupt der Familie Smith starrte Dominika mit rotunterlaufenen Augen an, der Rest des Körpers lag reglos, kanülengenadelt und an Monitore angeschlossen. Geh doch näher zu Papilein, ermunterte Frau Smith ihren Sohn, Ivo machte einen Schritt auf das Bett zu, schwankte auf unsicheren Beinen, trat wieder dahin, wo er gestanden hatte. In dem Augenblick, in dem sein Blick den seines Sohnes traf, holte John III Smith tief Luft, als ob er etwas sagen wollte, aber er lief nur rot an, bekam einen Hustenanfall, schnaubte und röchelte eine Weile, bis er schließlich hervorstieß: Welcome in America!
Jeden Tag versammelte sich die ganze Familie, inklusive der unverhofften Verstärkung in Gestalt der polnischen Schwiegertochter, am Bett von John III Smith. Willst du nicht mal allein mit ihnen reden?, fragte Dominika, aber Ivo zuckte nur mit den Schultern, er wüsste nicht, über was. Ivos Schwestern flüsterten miteinander und verdrehten die Augen, bis man nur das von den steifgetuschten Wimpern umrahmte Weiße sah. Ivos Mutter, von der die Töchter ihre Vorliebe für intensive Bräune und noch intensiveres Make-up geerbt hatten, verband auf erstaunliche Weise Passivität im Wesen mit hektischer, zielloser Aktivität des Körpers. Sie ist unausgesetzt in Bewegung, mal richtet sie etwas neben dem Krankenbett, mal klopft sie das Kissen mit solcher Wucht auf, dass der Kopf des Kranken hochhüpft, im nächsten Augenblick nimmt sie ihr Schminktäschchen und trägt in rasender Geschwindigkeit eine neue Schicht Lippenstift auf, doch schon ist Schluss mit der Schminkerei, sie galoppiert ans Fenster, schaut hinaus, als stünde dort unten jemand, der sehnsüchtig ihren Anblick erwartet, dann wieder zurück im Trab zum verlorenen Sohn, man könnte meinen, sie wollte ihn und am Ende gar auch seine Frau umarmen, aber nein, Frau Smith hält im Schritt inne wie am Zügel eines unsichtbaren Lenkers, und ab in eine andere Richtung, unermüdlich, mit ihren Zähnen blitzend, die weiß sind wie das Eis der Antarktis.
Hier, in Harrison, Arkansas, wird Dominika zum ersten Mal von Sehnsucht nach ihrer Mutter Jadzia Chmura in Piaskowa Góra überfallen. Sie würde ihr gerne das Haus der Familie Smith zeigen und sagen: Schau mal, Mama, so viele Zimmer und so viel Traurigkeit, und du meinst immer, in einem freistehenden Einfamilienhaus müsste man sofort glücklicher sein als in einer Wohnung im Babel. Sie rief ihre Mutter an, doch wie üblich brachte keine von beiden fertig, das zu sagen, was sie wirklich sagen wollten.
Jadzia hatte keine Ahnung, was Dominika wirklich in Harrison, Arkansas, machte, und sie wusste auch nichts von der Hochzeit ihrer Tochter auf einem deutschen Standesamt, in Anwesenheit von zwei Zeugen und zwei Gästen, eine Hochzeit, die so ganz anders aussah als die kirchliche Trauung mit Pomp, Kutsche und Schleier auf Jasna Góra, die Jadzia sich für ihre Tochter ausgemalt hatte. Dominika gegenüber beschwert sie sich, wieder so ein spinnerter Spleen, sagt sie, war das nötig, mit einem Homodingsbums ans Ende der Welt zu verschwinden, konntest du in der ganzen BeErDe keinen vernünftigen Jungen finden? Doch Krysia Śledź oder der Lepka gegenüber gibt sie mit ihrer Tochter an, diesem Hansdampfinallengassen, mit Freunden ist sie gefahren, mit reichen Amerikanern, die haben sie zu sich eingeladen, in ein Haus, das ist wie im Fernsehen, wie in Dallas , alles haben sie da, richtige Salons, jedes Kind hat sein eigenes Zimmer, die Küche ist Teil vom Esszimmer, dafür aber so groß wie eine ganze Wohnung im Babel. Alles haben sie Dominika bezahlt, keinen Groschen hat sie selbst hinlegen müssen, wenn sie nur keine Flausen im Kopf bekommt von all dem Wohlstand, seufzt Jadzia im Gespräch mit Krysia Śledź. Wie eine Prinzessin lebt sie da, essen tut sie umsonst, was sie will, kann sich aus dem Kühlschrank nehmen, worauf sie Lust hat, und Jadzia hofft bloß, dass sie dort nicht irgendwelche Schweinereien essen. Kochen die auch sauber?, fragt sie ihr Kind, das von der anderen Seite des Ozeans anruft. Guck mal, ob es auch sauber ist und ob die nicht alles Mögliche in den Kochtopf werfen, wenn doch, dann iss es nicht, gib’s in die
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