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Wolkenfern (German Edition)

Wolkenfern (German Edition)

Titel: Wolkenfern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanna Bator
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man dafür bezahlen muss, dass man die Vergangenheit in Gläsern haltbar machen kann. Besser so als gar nicht! Sie ging in den Keller, stampfte fest mit den Füßen auf, um die Ratten zu verscheuchen, öffnete das Vorhängeschloss und schob den aus alten Stores gemachten Vorhang zurück. Wie viel dort war! Die ordentlich aufgereihten Gläser besänftigten ihr Herz und schenkten ihr Ruhe, es gab Tage, an denen die eingemachten Früchte und Gemüse Jadzia als die einzige Sicherheit auf der Welt erschienen. Unberührte Himbeeren 1995, Pflaumenmus 1994, Blaubeeren aus demselben Jahr ganz hinten auf dem Regalbrett, oh, und noch Pilze aus dem Jahr 1990, Steinpilze, nur die Köpfe. Jadzia wischte den Staub von den Deckeln und freute sich, dass Dominika das alles kosten würde. Jadzia wird ein Glas nach dem anderen für sie öffnen, als ob sie die Jahre öffnete, in denen ihre Tochter in der Welt herumreiste und sie allein in dem verfluchten Krähennest saß. Hier haben wir 1990, hier 1991, hier 1992, das war ein außergewöhnliches Süßkirschenjahr, und so weiter, in der Natur kommt nichts um, und bei der praktischen Jadzia Chmura von Piaskowa Góra erst recht nicht. Jadzia trug den gefüllten Korb nach oben, öffnete ein Glas mit eingemachten Süßkirschen aus dem Jahr 1995 für Halina und stürzte sich dann mit so viel Energie und Schwung in die Weihnachtsvorbereitungen, als sollte sie einen Monat lang zwölf Personen bewirten.
    Dominika kommt!, erzählte sie stolz allen Nachbarn auf Piaskowa Góra, sie hat schon einen amerikanischen Pass und kommt zu Weihnachten, jetzt kann sie ohne Visum reisen, wohin sie will auf der Welt. Sie könnte nach Paris fahren, wenn sie wollte, oder auf die Kanarischen Inseln, aber sie kommt nach Wałbrzych, ihre Mutter besuchen. Allein? Die unschuldige Frage der Lepka setzte Jadzia einen Dämpfer auf, doch sie ließ sich von keinem mehr in die Suppe spucken, mit zunehmenden Jahren war sie auch schroffer geworden. Was soll sie mit irgendeinem Scheißer? Besser allein, als wie wenn sie sich mit einem einlassen würde, der seinen Arsch in irgendeinen Krieg tragen muss wie Ihr Sohn. Manche haben’s eilig, nehmen den erstbesten Trottel, und was haben sie davon? Kacke mit Sauce.
    Beim Einkaufen, Planen, Vollstopfen des Kühlschranks mit Essen ließ sich Jadzia durch nichts beirren. Halina war zu schwach, um Jadzia bei den Vorbereitungen zu helfen, sie lag in Dominikas Zimmer oder saß auf der Toilette und rauchte, während ihre Schwiegertochter an ihr vorbeiflitzte, als wäre sie plötzlich etliche Jahre und Kilo los.
    Stets auf Sparsamkeit bedacht, überlegte Halina, es wäre doch eine gute Idee, jetzt schon einen Sarg zu kaufen, er könnte in der Ecke am Fenster stehen, mit einem Tischtuch bedeckt würde er gar nicht auffallen. Später würde alles so hoppla hopp gehen, erst recht, wenn sie an den Feiertagen sterben würde, und das Beerdigungsunternehmen würde Jadzia mächtig übers Ohr hauen. Halina Chmura schleppte sich aus dem Bett ans Telefon und rief das Beerdigungsunternehmen an. Als Jadzia am Nachmittag die Tür öffnete, sah sie sich zwei Männern gegenüber, die fragten: Wo ist die Verstorbene? Da ging es noch einmal rund wie in alten Zeiten! Sie könnte ruhiger sterben, wenn sie den Sarg schon hätte, maulte Halina. Wusste Jadzia denn nicht mehr, wie es war, als Stefan starb? Bis auf den letzten Groschen hatten sie sie ausgequetscht, diese Verbrecher, und dann noch die Kränze! Halina sagte Jadzia allerdings nicht, dass die Schmerzen, die sie hatte, sich nicht mehr überlisten ließen und nicht einmal dann schwächer wurden, wenn sie heimlich die doppelte Portion der verschriebenen Tabletten nahm. Aber sie war fest entschlossen, bis zur Ankunft ihrer Enkelin durchzuhalten. Sie ließ sich sogar den Rest ihrer Haare mit einem Hennabrei färben, den es bei den Russen auf dem Manhattan-Markt gab, angeblich kastanienrot, aber was herauskam, war feuerrot, heilige Muttergottes!, erschrak Jadzia, doch Halina war zufrieden mit ihrer neuen Frisur, was auch daran lag, dass sie nur noch grelle Farben wahrnehmen konnte. Am Tag vor Heiligabend drehte sie die feuerroten Haare auf die Metallwickler, die sie seit fünfzig Jahren benutzte, und obwohl die kahle Kopfhaut zwischen den Haaren zu sehen war, fand Halina, sie habe sich für die Ankunft ihrer Enkelin schön zurechtgemacht. Zufrieden mit sich, schluckte sie eine Handvoll Tabletten und zündete sich eine Extrastark an, denn der Schmerz biss

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