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Wolkenfern (German Edition)

Wolkenfern (German Edition)

Titel: Wolkenfern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanna Bator
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Mütze aus dem Straßenstaub, gab ihr ein Taschentuch, mit dem sie sich die Hände abwischen konnte, und klopfte ihr den Mantel ab. Mensch, die hast du ja plattgebügelt!, sagte sie anerkennend zu Jadzia, als sie zusammen im Fahrstuhl in den neunten Stock fuhren. Und wie!, sagte Jadzia zufrieden. Sollte ich mir etwa auf den Kopf scheißen lassen?
    Als die siegreiche Jadzia in die Wohnung zurückkehrte, stieg ihr der Zigarettenrauch aus der Toilette in die Nase. Sie öffnete die Tür und sah ihre Schwiegermutter, abgemagert und klein wie ein Säugling, die mit hochgezogenen Knien auf dem zugeklappten Toilettendeckel saß und an ihrer Extrastark saugte wie an der Mutterbrust. Sie hatte sich schon für den Heiligabend zurechtgemacht und den neuen Pullover mit lila-rotem Muster angezogen, den Jadzia ihr auf dem Manhattan gekauft hatte. Offensichtlich hatte sie auch versucht, sich die Brauen zu schminken, denn zwei dicke schwarze Striche saßen schief auf ihrer Stirn, höher, als die Natur es vorgesehen hatte. Ich bin gleich fertig, krächzte sie.
    Mutter, geh doch ins Esszimmer, setz dich neben den Weihnachtsbaum und rauch wie ein Mensch, streck die Beine aus und lehn dich an den Pouf. Wir können ja hinterher lüften. Ins Esszimmer? Heilige Muttergottes, dachte Halina, während sie sich an der Wand entlang ins Zimmer schleppte, wo schon die Lichter am Weihnachtsbaum blinkten. Drehte ihre Schwiegertochter wieder durch wie damals nach der Geburt? Achselzuckend nutzte Halina den Augenblick und steckte sich eine weitere Zigarette an, sobald sie am Tisch saß. Doch Jadzia hatte noch eine andere Heiligabendüberraschung zu bieten. Sie richtete sich vor dem Spiegel die zu Ehren der Feiertage und Dominikas Heimkehr frisch gelegte Dauerwelle, dann hockte sie sich neben die Wanne, in der der Karpfen schwamm. Was hatte sie im Real gestanden und überlegt, welchen Karpfen sie nehmen sollte, dieser zu dünn, jener zu dick, der dritte zu weder-noch. Geben Sie mir den da, der sich so hin und her wirft, nein, nicht diesen Kümmerling, was wollen Sie mir denn da andrehen, den da meine ich, ja, den nehme ich. Gerannt war sie nach Hause mit dem Karpfen in der Tasche, aus Angst, er könnte ihr unterwegs krepieren. Der Karpfen schwamm näher und sah Jadzia an, er schob sein Maul an die Wasseroberfläche, als wollte er ihr etwas sagen. Na, du Dummkopf, willst wohl noch leben, was?, fragte Jadzia. Der Karpfen gab keine Antwort, blickte aber interessiert. Warum auch nicht, antwortete Jadzia für den Karpfen, das wollen wir doch alle. Sie stand auf und nahm den Putzeimer, in dem der Mop stand, nach Jadzias Meinung eine der größten Errungenschaften von Demokratie und Kapitalismus. Wenn Jadzia etwas gefiel, sagte sie: Klar, Demokratie! oder: Klar, Kapitalismus! mit der entsprechend begeisterten Intonation. Die Vielfalt der Mittel zum Reinigen, Bleichen, Scheuern, Fleckentfernen, Desinfizieren und Hochglanzverleihen bot Jadzias Leidenschaft für Hygiene eine neue Dimension, denn erst jetzt hatte Jadzia als Schmutzausmerzerin freie Bahn in ihrem Kampf gegen Bakterien und Viren. Was war der olle Essig gegen Domestos und Ace! Sie spülte den Eimer aus und fischte damit den Karpfen aus der Wanne. Er war schwer. Komisch, dachte Jadzia, ein Karpfen ist ein Karpfen, aber dass Wasser, das doch durchsichtig ist wie die Luft, so viel wiegt! Mutter, rauch ruhig noch eine, hier ist Cola, und Kirschsaft, trink nur, bin gleich wieder zurück! Und schon war sie an der Tür. Jadzia? Halina machte sich jetzt ernsthaft Sorgen. Wo willst du hin? Dominika kann jeden Moment hier sein, und du rennst raus, krächzte sie. Mit dem Karpfen im Eimer? Jadzia!
    Mutter, mach dir keine Sorgen, ich lass nur den Karpfen frei, bin gleich zurück! Und die Tür fiel ins Schloss.
    Tatsächlich, sie ist wieder durchgedreht!, dachte Halina, zündete sich die nächste Zigarette am Stummel der letzten an und lächelte vor sich hin. Ja, sie war ein bisschen verrückt geworden, ihre Schwiegertochter, aber besser als beim letzten Mal, vor sechsundzwanzig Jahren, als sie entweder herumlag und verlotterte oder durch die Wohnung flitzte und putzte. Jadzia lief unterdessen durch die Büsche hinunter zum Kleinen See der Spinnennixe. In den Büschen war es jetzt nicht mehr so verwahrlost, Spazierpfade waren angelegt, und Bänke standen herum. In den Kleinen See wurde nicht mehr das Wasser aus den Zechen gepumpt, denn es gab keine Zechen mehr. Das Sammelbecken hatten sie gereinigt, ringsum einen

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