Wolkenfern (German Edition)
geht es um die Loslösung von ihrer Mutter, sie will sie einfach ändern, vom Fleck bugsieren, vom Bemuttern auf einen interessanteren Weg schieben.
Als Dominika von Halinas Sterbenskrankheit erfuhr, wurde sie plötzlich von Angst gepackt. Ich fahre nach Piaskowa Góra, sagte sie zu Sara. Als sie am Vortag der Abreise in den Spiegel schaute, bemerkte sie zu ihrer Verwunderung, dass in ihrer Iris, die sich früher von der Pupille kaum unterscheiden ließ, stachelbeergrüne Funken leuchteten.
Dominika zog aus dem Zimmer an der polnischen Kirche aus und ließ ihre ärmlichen Habseligkeiten zurück, die die anderen unter sich aufteilen konnten. Pani Halina nimmt die Lampe, die wird ihr wie gerufen kommen, wenn sie in die Heimat zurückkehrt, Pani Stenia nimmt den Minikühlschrank, der wird gerade recht sein, wenn sie die Familie herüberholt, und alles wandert in die Kisten im Flur.
In vier Tagen bin ich da, sagte Dominika am Telefon zu Jadzia, der bei diesen Worten die Knie so weich wurden, dass sie es wagte, sich mit dem Hörer weit genug von dem Gerät zu entfernen, um sich aufs Sofa fallen zu lassen. In vier Tagen, nach ganzen sieben Jahren, und dazu noch zu Weihnachten! Wie sollte sie es schaffen, alles vorzubereiten? Jadzia war hin- und hergerissen zwischen Freude und Wut zu gleichen Teilen, was nur eine Potenzierung der üblichen emotionalen Chemie war, die ihre Tochter und alles, was mit ihr verbunden war, in ihr bewirkte. Manchmal war die Freude stärker, manchmal die Wut, und wenn die Gefühle in ein gefährliches Ungleichgewicht zu kippen drohten, musste Jadzia dauernd aufstoßen und schluckte ihr Raphacholin. Ich krieg dann so ein Sodbrennen, vertraute sie Krysia Śledź an, die ihr riet, die Einmachflüssigkeit saurer Gurken zu trinken, ein bewährtes und gesundes Mittel, das ihr gegen alles helfe.
Gurkenwasser hatte Jadzia mehr als genug, sie gab ihrer Nachbarin oft sogar ein, zwei Gläser ab. Seit Dominikas Unfall vertrieb ihr das Einmachen, Säuern und Haltbarmachen die Zeit, von der sie auch mehr als genug hatte. Hätte sie diese beschädigte, leere Zeit einfach so verstreichen lassen, wäre sie vergeudet gewesen, denn was war das für eine Zeit, die nur aus Einsamkeit und Warten bestand? Mariniert ließ sie sich haltbar machen, und Jadzia Chmura wartete auf bessere Umstände, unter denen man sie würde nutzen können, wie es sich gehört, abschmeckend und die Süße heraussaugend. Jadzia säuerte und konservierte die Zeit, karamellisierte sie, pasteurisierte sie, sie füllte die Zeit in Gläser, die sie hermetisch verschloss und beschriftete: Gurken 1991, schwarze Johannisbeeren 1992, Paprika 1993, rote Rüben mit Paprika 1994, Erdbeeren in Honig 1995, Kraut mit Kümmel 1996. In langen Reihen standen die eingelegten und marinierten Jahre auf den Regalen im Keller, wo allmählich schon kein Platz mehr war. Die blitzblanken Gläser überzogen sich mit Staub und Spinnweben, Rost fraß langsam die Deckel an, und die von Jadzia so gehassten Bakterien drangen unter den angerosteten Deckeln hinein. Hier und da setzte die eingemachte Zeit Schimmel an und faulte. Jadzia kam mit dem Essen gar nicht hinterher, wie viele Gürkchen kann eine einsame ältere Frau denn essen, wie viel Kompott schlürfen, wie viel Brombeersaft trinken, und schon ist der Frühling wieder da, und man muss neue Gürkchen einlegen, frische Früchte, auf dem Manhattan-Markt auf Piaskowa Góra sorgsam ausgewählt, zu Konfitüre verarbeiten. Die marinierten, konfitürierten, gesäuerten Jahre gaben Jadzia Chmura auch Gelegenheit, der Toten zu gedenken, ihres Mannes Stefan, der Gürkchen zu allem essen konnte, haps-kraps knackte er sie zu Frühstück, Mittag- und Abendessen, und Pilze, ja, auch Pilze, diese leider vorzugsweise zum Wodka; ihrer Mutter Zofia, die es nach Süßem gelüstete wie ein Kind, so einen Saft, den hätte sie allein konsumiert, kaum zubereitet, hätte sie ihn den ganzen Winter über gesüffelt, bis zur letzten Flasche; und Jadzias Vater erst, Maciek Maślak, der richtige Vater und Kriegsheld, der musste zu Kartoffeln immer Sauerkraut haben, so viel hatte sie hinsichtlich seiner kulinarischen Gepflogenheiten erfahren können, und mehr würde sie nie erfahren, denn es war niemand mehr da, der es ihr hätte sagen können. Demütig nahm Jadzia Chmura hin, dass eine eingemachte Zeit bestimmten Veränderungen unterliegt, so wie eine Erdbeere in der Konfitüre sich von der rohen unterscheidet, doch das ist der Preis, den
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