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Wolkenfern (German Edition)

Wolkenfern (German Edition)

Titel: Wolkenfern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanna Bator
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alten Krümeln und Resten in den Ecken, und nach Gummimatten wie in der Turnhalle, pfui. Lily Rose und Violet Rose haben einen Bruder, der dem Großvater getrennte Besuche abstattet, denn den für sein Alter sehr ernsten Jungen stört das Kichern und Kreischen der Mädchen. Ihr aufgeblasener Bruder heißt Napoleon wie sein Vater, und die Mädchen nennen ihn Napi-okapi und erkundigen sich mit boshaftem Spott nach dem Nachttopf. Napi-okapi!, brüllen sie, wenn sie den Bruder mit seinen Freunden auf dem Heimweg von der Schule sehen, der Kaiser Napoleon hat aus Frankreich angerufen, er hat gesagt, du hättest ihm den Nachttopf geklaut!
    Der Nachttopf von Napoleon, ewig redet der Opa über diesen Nachttopf von Napoleon, eigentlich redete er von nichts anderem. Der Nachttopf von Napoleon, wie schade, dass er nicht hier ist, er würde ihn den Enkeln so gerne zeigen, ein goldglänzender Nachttopf mit aufgemalten Blumen und Husaren zu Pferde und jeder Menge anderem. Er würde ihnen nach seinem Tod den Nachttopf des französischen Kaisers als Erbe hinterlassen. Damit sie ihn nicht vergessen und den Nachttopf für ihre eigenen Kinder hüten und pflegen. Leider jedoch ist der Nachttopf abhandengekommen, sagt der Großvater, aber er sieht ihn immer noch genau vor sich, und während seines ganzen Lebens in der Fremde hat er ihn nie aus dem geistigen Auge verloren. Im Haus meiner verehrten Urgroßmutter aus Kamieńsk, fährt der Opa fort – Urururururgroßmutter flüstern die Enkelinnen, ihr Kichern mühsam unterdrückend – ach ja, Urururgroßmutter, da hat Napoleon auf dem Rückweg von Russland Halt gemacht. Napoleon?, fragen die Enkelinnen mit gespieltem Erstaunen und kneifen sich heimlich, denn sie hören dieselbe Geschichte immer wieder bei ihren wöchentlichen Besuchen im Altersheim, und dieselbe Geschichte hat schon Grażynka vor Dutzenden von Jahren gehört. Wenn es wenigstens ein Collier wäre, eine Schatulle, Ringe – aber ein Nachttopf, was sollte man in New York mit einem Nachttopf, dazu noch einem alten, den irgendein Napoleon schon benutzt hatte? Na-po-le-on?, fragen sie den Opa wie jede Woche, so wie der Kuchen beim polnischen Konditor in Greenpoint? Ja, genau, sagt der Großvater, denn Napoleon hatte eine Vorliebe für polnische Kuchen, nichts wollte er essen außer polnischen Napoleonschnitten, denn die sind am besten, sagte er immer, sogar besser als die französischen. Und am allerbesten schmeckten sie ihm in Kamieńsk, in der Konditorei von Mateusz Suliga, da hat er sich mit Napoleonschnitten vollgestopft, dass man ihm hinterher einen Pfefferminztee aufbrühen musste, denn er hatte einen schwachen Magen. Schmeckten die Napoleonschnitten dort besser als Marsriegel?, fragt Lily Rose. O ja, nickt der Opa, bestimmt viel besser. Auch besser als Snickers?, fragt Violet Rose, denn sie will ihrer Schwester im Fragen nicht nachstehen. Viel besser! Napoleon Bonaparte, der große Kaiser der Franzosen und Freund der Polen, pflegte zu sagen, die polnischen Kuchen und die polnischen Soldaten seien die besten überhaupt. Er wollte gar keine anderen Soldaten, nur unsere. Meine verehrte Urgroßmutter wollte ihn im Herrenhaus unterbringen, im Gästezimmer, aber er sagte, nein, er will in der Hütte schlafen, die man aus dem Fenster sah, um näher bei den Soldaten zu sein. Im Handumdrehen hat man dort alles zurechtgemacht, denn meine Urgroßmutter hatte Dienstboten, Teppiche hat man in die Hütte gebracht und ein großes Bett, für das man vier Männer brauchte, um es zu tragen, und Wandbehänge, die ruck, zuck an den Wänden angebracht wurden. Und den Nachttopf, den Nachttopf hat die Urgroßmutter persönlich getragen und ihn auf dem Weg zur Hütte noch mit dem Saum ihres Kleides poliert. Und die Hütte, in der der große Herrscher übernachtete, wurde von da an die Napoleonhütte genannt. Bonaparte hat uns gezeigt, wie man den Sieg erringt, stimmt Mopsiński senior nun an, und das ist für die Enkelinnen zu viel, sie prusten vor Lachen, das wie Glasperlen in alle Richtungen kullert, vom Boden abprallt, auf den Sessel hüpft, wo der in eine Decke gehüllte Großvater lächelnd erstarrt, die Augen schließt und in ein Nickerchen versinkt, das dem Tod näher ist als dem Schlaf und in dem Napoleon auf dem Rückzug aus Russland, Kamieńsk, der Nachttopf, die Urgroßmutter und die Enkelinnen Lily Rose und Violet Rose gleichzeitig vorkommen, ein Wasserfall der Bilder, die sich unerträglicherweise mit jedem Atemzug anders

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