Wolkenfern (German Edition)
machte sie auch nur einen zornigen Schritt auf ihn zu und fiel dann vom Alkohol benebelt hin, den Kaiser unter sich begrabend. Die kaiserliche Nase war zwischen den Brüsten der Venus eingeklemmt, das Gewicht ihrer Hüften und Hinterbacken presste auf den kaiserlichen Torso, das arme Kerlchen kriegte gar keine Luft mehr! Napoleon wollte sich befreien, aber nichts da! Sobald er versuchte, den Kopf zu heben, packte Venus ihn mit flinker dunkler Hand an der Kehle. Sie schaute ihn von oben an, ihre Augen waren gelb, ein Feuer brannte darin, Rum floss in ihren Adern oder grüner Absinth, ihr habt doch gewollt, dass ich wild bin – bitte sehr! Sie drückte dem Kaiser gekonnt langsam die Luft ab, bis ihm die Augen aus den Höhlen traten und er aufhörte sich zu wehren, nur noch mit den ledergestiefelten Beinen zappelte, während Venus immer weiter lachte. Napoleons verzweifelte Zuckungen halfen ihm nichts, Venus quetschte seine Flanken zwischen ihren Schenkeln, bis es ächzte, das hatte er doch gewollt, der Kerl in diesen weißen Hosen, der angezogen war wie für den Zirkus, er hatte sie doch fressen wollen, und jetzt plötzlich schrie er um Hilfe. Mit irrem Lachen knöpfte Venus den obersten Knopf seiner Hose auf. Seine Augen wölbten sich vor, Schweiß trat ihm auf die Stirn, er keuchte. Sie gluckste ihn an, die restlichen Knöpfe flogen ab, sie fand, was sie suchte, und setzte sich zurecht, aaaah, stöhnte er, welch ein Tempo, welche Glut!
Aha, lachte Dominika, bei der Gelegenheit ist Venus schwanger geworden, weil sie sich dann letzten Endes doch von dem kleinen Kaiser überlisten ließ!
Ja, in der Tat, sagte Małgosia, als wäre sie selbst für Venus’ Schwangerschaft verantwortlich. Und wie geht’s weiter? Jetzt bist du dran, Dominika Chmura, ich bin Ärztin, ich dürfte Venus nicht sterben lassen, aber ich fürchte, es wird unvermeidlich sein. Venus war bereits krank, sie hustete und spuckte Blut, sie aß fast nichts, ernährte sich nur von Rum, grünem Absinth und kandierten Früchten. Sara hat erzählt, erzählt Dominika, die Idee einer Romanze zwischen Venus und dem Kaiser der Franzosen sei ihr schnell gekommen. Als sie sehr jung war, malte sich Sara ganz im Stil der Erzählungen ihrer Großmutter schwärmerisch aus, dass Napoleon Venus besinnungslos geliebt hatte, sie war seine wahre große Liebe gewesen, die er vor der grausamen Welt geheim hielt. Ooooh!, seufzt Małgosia. Na ja, sagt Dominika, aus so etwas wächst man ja heraus. Sara sah bald ein, dass es anders ausgesehen haben musste, wenn sie sich überhaupt getroffen hatten, von Liebe konnte da keine Rede sein. Sie wurde also schwanger, und das Kind war Ur-ur-ur deiner Freundin Sara aus New York, sagt Małgosia. Das Kind von Venus und Napoleon! Mädchen? Junge? Mädchen, lacht Dominika, das passt mir besser zu der Geschichte – oder soll es zur Abwechslung mal ein Junge sein? Na gut, stimmt Małgosia zu, diskriminieren wir nicht die armen Jungen, obwohl, andererseits – Napoleon hatte schon zwei Söhne. Und zwar ziemlich missratene!, setzt Dominika hinzu. Also doch Mädchen? Na gut, sei’s ein Mädchen. Venus also gebar in Paris ein Mädchen, die Tochter Napoleons. Das war 1815. Napoleon aber, inzwischen in den Staub von Waterloo getrampelt, wurde auf die Insel St. Helena vor der Küste Afrikas verbannt, wo er an Zyankalivergiftung starb. Nach Venus’ Tod versorgte ihre Dienerin und einzige Freundin den Säugling. Die Freundin stand Venus bis zum letzten Augenblick bei. Wer war das? Wer soll’s schon gewesen sein, sagt Dominika, eine Albinofrau mit rosigen Augen und Haaren so dünn wie Entenflaum, die ihr zu einem Zopf geflochten bis zu den Knien hingen. Sie war klein und zart, mit Fingernägeln wie kleine Muscheln. Venus hatte ihren Besitzer gebeten, sie einem jämmerlichen Theaterchen abzukaufen, wo das Albinomädchen gegen Geld in einem Aquarium dem Publikum vorgeführt wurde, da schwamm sie mit angeklebtem Fischschwanz. Sie kam aus der Ukraine und hieß mit Vornamen Olena, ergänzt Małgosia. Ja, Olena, natürlich, sagt Dominika. Die Nixe Olena. Hohe Wangenknochen, schmale Augen, ein Goldzahn. Anfangs war sie Venus’ Zimmermädchen und Aufwärterin, später ihre Freundin. Sie schliefen in einem Bett, eng aneinandergeschmiegt, denn in Venus’ Zimmer war es so kalt, dass sie morgens Raureif auf den Wimpern hatten, der Winter 1815 war einer der schlimmsten seit Menschengedenken. Diese Olena sang ihr ukrainische Balladen vor und spielte
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