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Wolkenfern (German Edition)

Wolkenfern (German Edition)

Titel: Wolkenfern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanna Bator
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so hießen die Schwestern, falls sie überhaupt Schwestern waren, und das Kind getauft wurde, erschienen die Teetanten aufgeputzt in seinem Atelier mit der kleinen Grażynka ganz in Weiß und den beiden Paten, der Musiklehrerin Aurelia Borowiecka und dem Konditor Mateusz Suliga. Ludek brauchte eine Weile, um diese untypische Familie für das Foto aufzustellen, und die Hände zitterten ihm dabei, während die sonst immer so einvernehmlichen Schwestern sich nicht einig werden konnte, wer das Kind für das Foto halten sollte, bis sie schließlich brummelnd übereinkamen, die Patentante solle die Kleine halten, neben ihr solle der Patenonkel sitzen, und sie würden bescheiden im Hintergrund stehen, denn so wäre es gerecht. Die Teetanten standen reglos und blickten ohne jede Koketterie, die sie ohnehin nie besessen hatten, ins Objektiv, als guckten sie in den Spiegel, um ein Rußflöckchen von der Wange zu wischen oder eine Wimper aus dem Auge zu entfernen. Aurelia neigte den Kopf leicht nach links, denn irgendwann, als sie noch aufs Konservatorium ging, hatte ihr jemand gesagt, so sehe sie einfach entzückend aus. Mateusz Suliga rührte sich überhaupt nicht, weil seine Frau ihm zu diesem Anlass das Hemd so steif gestärkt hatte, dass ihm der Rand des Kragens fast die Kehle durchschnitt, und Grażynka sah Ludwik Borowic ernst und ruhig an. Aurelia Borowiecka, die ja an die jährlichen Klassenfotos mit ihren Schülern gewöhnt war, erschrak plötzlich und schloss die Lider, unter denen sie zu ihrer Verblüffung plötzlich einen langen Zug von Menschen mit Koffern über einen Bahndamm gehen sah, und über ihr wölbte sich ein roter Himmel, der pulsierte wie eine Membran. Als Ludek am Abend desselben Tages die Abzüge machte – für jede Teetante eins, zwei für die Paten und eins auf Vorrat –, empfand er ein solches Bedürfnis, das Kind, das er einst hatte weggeben müssen, zu beschützen, dass er bereit war, gegebenenfalls sein Konterfei so zu retuschieren, dass auch der gewitzteste Tod auf das gesunde Wangenrot und das Blau der Augen hereinfallen müsste. Zornig murmelte Ludek, der Tod sollte es bloß nicht wagen, und versprach alles, was ein ärmlicher Fotograf aus Kamieńsk geben kann, doch es war gar nicht notwendig, denn auf dem entwickelten Bild erschien das Gesicht des Kindes wie das Leben selbst. Ihre Lippen schimmerten rosig, die Augen blau, es war ein wahres Wunder der Schwarz-Weiß-Fotografie, und die Schönheit des Kindes trat umso deutlicher hervor, weil die silbrige Wolke des Todes Aurelia Borowiecka, die das Kind im Arm hielt, verhüllte, als hätte ihr jemand einen Schwall Zigarettenrauch ins Gesicht geblasen, sich um den Taufpaten Mateusz Suliga im steifgestärkten Hemd legte und schließlich auch die Teetanten streifte, in deren Abbild das geübte Auge des Fotografen den bösartigen Schatten eines kaum erst geschlüpften Todes ausmachen konnte. Von da an fotografierte Ludek Borowic Grażynka bei jeder Gelegenheit, die sich ergab, und er konnte die Teetanten so beschwatzen, das Aussehen des Kindes so rühmen, dass der Glanz auch auf die beiden Schwestern fiel, und sie erröteten wie nach dem Aprikosenlikör mit Nelken, von dem sie einander jeden Abend einen Fingerhut voll kredenzten. Als Grażynka ein Jahr alt war, machte Ludek ein Foto von ihr vor dem Hintergrund eines Meeresbilds, sie hielt einen Strandball in haarfein von ihm aufgemalten Farben, und eine Welle rollte bis genau an ihren kleinen Fuß mit makellosen Fußnägeln, die aussahen wie Ostseemuscheln. Im Winter fotografierte er sie im Schafsfellmantel mit Pelzkappe neben ihrem Schlitten, im Sommer im geblümten Kleidchen, im Herbst mit dem Ledertornister bei der Einschulung in der Schule von Kamieńsk. Jedes Mal war Ludek begeistert von der Vollkommenheit ihrer Erscheinung, und unter seinen Augen nahm Grażynka klarere Gestalt an und wurde immer schöner, als besäße sie die Fähigkeit, die Fotografenträume in sich aufzunehmen und zu verwirklichen. Auf dem letzten Bild, das Ludek Borowic, der jüdische Fotograf von Kamieńsk, aufnahm, war Grażynka etwa zehn Jahre alt, immer noch musste nichts retuschiert werden, denn sie erschien klar und deutlich, fast dreidimensional, die Augen zur Abwechslung diesmal braun und glänzend wie frische Kastanien. Als Grażynka Ludek Borowic’ Atelier verließ, wartete draußen eine Schar Jungen auf sie, die sich die Nasen an der Scheibe plattgedrückt hatten: Wie immer war der melancholische Icek Kac

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