Wolkenfern (German Edition)
bei den Gaffern und der elegant gekleidete Napi Mopsiński – und auch einer, der zwar nicht sichtbar, doch sehr wohl anwesend war: Ludek spürte den Blick hinter den Gardinen des Friseurgeschäfts wie einen eisigen Hauch, wobei ihm plötzlich auffiel, dass Tadeusz Kruk ja noch nie bei ihm gewesen war, um sich fotografieren zu lassen.
Kurz vor dem Krieg wanderte der Fabrikant mit Frau und Sohn Napi aus Polen aus. Die Teetanten und Grażynka ließ er in der Napoleonhütte zurück, denn er hatte nicht die Absicht, irgendwelche entfernten Verwandten und erst recht nicht ein Findelkind mitzunehmen, doch man musste ihm lassen, dass er sein Wort hielt und ihnen die Mittel für einen bescheidenen Unterhalt zukommen ließ. Die Beschäftigung mit historischen Werken aus der Napoleonischen Zeit und seine Erfahrungen mit der Knopffabrik hatten dafür gesorgt, dass Antoni Mopsiński die seltene Fähigkeit besaß, politische Ereignisse auf lokaler und internationaler Ebene vorherzusehen. Während die anderen Bewohner von Kamieńsk bei der Erwähnung eines drohenden Krieges wegwerfend sagten: Iwooo! Das geht vorüber!, blickte Antoni Mopsiński zum Himmel und seufzte: Das sieht böse aus, da tut sich nichts Gutes!, bis er schließlich entschied: Josephine, wir packen. So begann im Herrenhaus das große Packen, doch Antoni Mopsiński interessierte nur eines, nämlich der Nachttopf Napoleons, der heil und unbeschadet die Reise übers Meer überstehen musste, und er überwachte persönlich, wie er erst in Werg und dann in drei Meter purpurfarbene Seide gewickelt wurde, die Josephine einmal aus irgendeinem Grund bestellt und dann in der Truhe vergessen hatte, wo die Motten Löcher hineinfraßen. Fast gut, erklärte er, doch zur Sicherheit befahl er noch, das ganze Paket mit dem Nachttopf, das er während der Reise in seiner Nähe behalten wollte, zusätzlich in zwei von seiner unermüdlichen Frau trikotierten Pullover zu wickeln.
In Josephine Mopsińkas Handgepäck befanden sich Stricknadeln unterschiedlicher Dicke, Wollknäuel und ein Vorrat an Knöpfen, der Rest ging sie nichts an, und sie merkte nicht einmal, dass Napi, der plötzlich vom Schlingel zum schlaksigen Jüngling geworden war, bedrückt und mürrisch umherschlich. Da Josephine im Innern ihres Herzens wusste, dass sie niemanden besonders interessierte, war sie den Teetanten dankbar, dass sie ihr so lange Gesellschaft geleistet hatten, und wollte ihnen und Grażynka, den einzigen Personen, die freiwillig ihre Pullover, Schals und Pulswärmer trugen, gerne ein Abschiedsgeschenk machen. Vielleicht mischte sich auch ein leises Schuldgefühl in diese Dankbarkeit, denn Josephine Mopsińska wusste, dass ihr Wille zu schwach und ihre Stimme zu leise waren, um ihren Mann dazu zu bewegen, ihren Bitten nachzugeben und die Teetanten und Grażynka mitkommen zu lassen nach Amerika. Was konnte sie ihnen hier zum Abschied schenken, überlegte sie. Wenn sie doch wenigstens trikotierten – aber zum Trikotieren hatten die Teetanten überhaupt keine Neigung, und wozu Grażynka mal Neigung haben würde, das konnte man noch nicht voraussehen. Aber die beiden waren gern in der Küche zugange, hatten gern Gäste und bewirteten, ja – Josephine Mopsińskas Blick fiel auf die Kristallschale für Punsch, die sie sorgfältig verpackt und auf den Tisch neben andere für die Abreise vorbereitete Dinge gestellt hatte. Die Teetanten würden darin elegant ihren Punsch servieren und vielleicht auch ihrer gedenken, der Josephine Mopsińska aus Kamieńsk. Als die Teetanten mit Grażynka vorbeikamen, um Abschied zu nehmen, überreichte Frau Mopsińska ihnen die Kristallschale, zwei warme Westen und ein Kleid für die Kleine, das alles hatte sie trotz des allgemeinen Durcheinanders noch stricken können. Als Josephine Mopsińska sah, wie ihr Sohn beim Anblick der kleinen Grażynka errötete, betrachtete sie das Mädchen mit den schönen Augen und wunderte sich über ihre eigenen Gedanken, dass sie von diesem Augenblick an wohl nach Kamieńsk und allem, was hier hätte geschehen können, nun aber nicht mehr geschehen würde, Sehnsucht haben würde. Die Teetanten gingen mit ihren Geschenken und Grażynka davon, Josephine schaute ihnen in der zunehmenden Stille dieses letzten Abends nach und irrte sich nicht in der Ahnung, dass dieser von Traurigkeit erfüllte Augenblick letzten Endes doch in ihrem Leben als Frau, die immer alle enttäuscht hatte, etwas Größeres und Besseres verhieß.
Erst drüben, in
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