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Wolkenfern (German Edition)

Wolkenfern (German Edition)

Titel: Wolkenfern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanna Bator
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dass sie sich blicken ließen, man überlegte, wen sie wohl zuerst zum Tee einladen würden. Aber die Teetanten erschienen weder zur Sonntagsmesse, noch sah man sie im Laden oder im Garten. Waren sie es wirklich? Es war schon vorgekommen, dass nach dem Krieg nur Geister zurückkamen, zum Beispiel der Geist des beim Bombenangriff getöteten Barnabas Midziak, der in der grasüberwucherten Bude an den Eisenbahngleisen gewohnt hatte, aber Geister machen bekanntlich nicht das Licht an. Als Erste fasste sich Marianna Gwóźdź ein Herz, die sich zur Befriedigung ihrer Neugier deshalb besonders berechtigt fühlte, weil sie vor ihrer Stelle als Haushälterin im Pfarrhaus beim Fabrikanten Dienstmädchen gewesen war und den Nachttopf Napoleons mit eigenen Augen gesehen hatte. Dass sie es war, die Grażynka den Teetanten auf die Schwelle gelegt hatte, das hatte sie nie auch nur einem Menschen gegenüber erwähnt, und Gott allein konnte wissen, was dieses Schweigen sie gekostet hatte, sie, die gerne redete und jedes Wort wie ein Stück gefüllte Milchschokolade auskostete. Sie klopfte an die Tür der Napoleonhütte, doch obwohl drinnen Licht brannte, kam keine Antwort, nur ein senkrechter Schatten huschte draußen vorüber, als sei jemand in die Hocke gegangen, um sich unter dem Fensterbrett zu verstecken. Marianna Gwóźdź ließ sich nicht leicht beirren und klopfte ein zweites Mal. Ist da wer?!, rief sie, und als auch darauf niemand reagierte, schaute sie durchs Fenster und erblickte in dem Spalt zwischen den narzissenfarbenen Vorhängen einen kahlen Kopf. Was für ein Kopf! Als Marianna Gwóźdź noch ein kleines Mädchen war und mit dem Putzen, Waschen, Kochen für andere erst anfing, hatte ihr der Gutsherr Borowiecki einmal einen kleinen Gegenstand gezeigt, der aussah, als sei er aus Asche geformt, und als sie ihn in der Hand hin und her drehte, betreten über so viel Aufmerksamkeit, die ihr da zuteil wurde, sagte er, das sei der Kopf eines Menschen von den wilden Inseln, so einen Humor hatte er. Marianna Gwóźdź hatte später beim Metzger und vor der Kirche anderen davon erzählt, aber sie konnte es mit nichts vergleichen, weil in Kamieńsk außer ihr noch niemand ein Schrumpfköpfchen von den wilden Inseln gesehen hatte. Jesus und alle Heiligen, was war das für ein Kopf?, sagte sie deshalb nur immer wieder und ging schließlich zur Beichte, denn das war immer eine gute Arznei, die sich nur mit dem Aprikosenlikör vergleichen ließ, mit dem die Teetanten sie vor dem Krieg bewirtet hatten. Diese beiden Dinge – die Beichte und den Likör – liebte Marianna Gwóźdź wegen der vielen Worte, die sie sowohl bei der einen als auch bei der anderen Gelegenheit verlieren konnte.
    Als sich die Teetanten schließlich hinauswagten, wussten alle auf den ersten Blick, dass sie im Lager gewesen waren. Diejenigen, die aus dem Lager zurückkamen, teilten sich in die Gesprächigen und die Schweigsamen, auch das wusste man inzwischen, denn ein paar Monate zuvor waren der Friseur Tadeusz Kruk und die Telegrafistin von der Post, Franciszka Pylek, zurückgekommen. Ersterer redete ununterbrochen, Letztere schwieg wie ein Stein. Die Bewohner von Kamieńsk warteten also geduldig, denn insgeheim rechneten sie damit, dass die Teetanten, die doch immer so gesprächig und freundlich gewesen waren, zu denen gehören würden, die redeten. Ein redender Mensch lässt sich nämlich leichter wieder in den vertrauten Kreis einbeziehen, auch wenn man das, was er redet, nicht fassen kann.
    Tadeusz Kruk zeigte jedem Kunden die Nummer auf seinem dünnen Unterarm, und mit Schere oder Rasiermesser fuchtelnd redete er. Jedes Mal, wenn er jemandem das weiße Tuch um den Hals legte, redete er, selbst wenn der Kunde – wie zum Beispiel der neue Schuldirektor oder Marianna Gwóźdź – diese Geschichte schon etliche Male gehört hatten. Mit dem Lager antwortete der Friseur auf eine beliebige unschuldige Bemerkung übers Wetter, denn was wahr ist, ist wahr, ich bitte Sie, liebe Frau Marianna, es regnet, aber was ist das schon für ein Regen; als ich im Lager war, da hat es geregnet, dass wir im Matsch geschlafen haben; man hat Matsch gegessen, Frau Marianna, und Ruß hat man gekaut vor Hunger. Mit dem Lager antwortete er auf einen unschuldigen Hinweis auf die Zwiebelernte, denn die Zwiebel, Herr Derektor, dieses an sich primitive und selten allein wachsende Gemüse, das kann im Lager Leben retten; und von Äpfeln, Herr Derektor, von den ersten saftigen

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