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Wolkenfern (German Edition)

Wolkenfern (German Edition)

Titel: Wolkenfern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanna Bator
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Vergewaltiger und Unterdrücker war, der einen Traum vom anständigen Friseur aus einer kleinen Stadt geträumt hatte, und nicht umgekehrt, und da kam sein Herz zur Ruhe. Weiterhin ging er pünktlich zur Arbeit und öffnete mit lautem Knallen der hölzernen Fensterläden sein Geschäft, weiterhin bügelte er die weißen Leintücher, die er den Kunden um den Hals band, und legte die Wickler für die Dauerwelle so zurecht, wie er sie brauchte, aber diese Welt war für ihn nicht mehr real. Er rasierte und entfernte geschickt die wuchernden Haare aus der Nase des Metzgers oder dem Ohr des Uhrmachers, besprühte die Gesichter der Männer mit Kölnisch Wasser, das nach Geranien und Zitronen duftete, und verpasste den Frauen modische, steif pomadisierte Kurzhaarfrisuren, denn seine weniger vermögenden Kundinnen wollten vor allem, dass die Frisur auch nach der Hochzeit, Beerdigung oder Taufe noch ein, zwei Wochen hielt. Doch in Wahrheit war Tadeusz Kruk eigentlich gar nicht dort in dem Friseurgeschäft an der Geraden Straße in Kamieńsk, sein Tagesgeist machte sich dort in sauberem Kittel zu schaffen, und nur ab und zu geschah es, wenn er den Nacken einer Frau warm und wehrlos vor sich sah, dass ihm der Gedanke an Gewalt durch den Kopf schoss, eine Gewalt, zu der man keine Hiebe in den Bauch und kein Einklemmen der Finger brauchte, es reichte schon, dass man Angst einflößte. Er erstarrte einen Augenblick lang, einer Ekstase nahe, dann überlief ein kalter Schauer die Kundin, die gerade für eine Dauerwelle aufgedreht war oder deren Locken gelegt oder gefärbt wurden, und sie bat, das Fenster wegen des kalten Luftzugs zu schließen. Dem Friseur war sein morgendliches Erwachen wie ein Einschlafen, während ihm das Abendessen, bei dem er einsam jeden Bissen mit seinen gelben Zähnen sorgfältig kaute, Kraft für sein nächtliches Leben gab, wenn er wirklich er selbst war. Seine Phantasie fand ihre Nahrung an den Frauen, die zu ihm ins Geschäft kamen, mehr aber noch an denen, die wie die Teetanten oder Hawa Borowic, die Frau des Fotografen, nie ihren Fuß hineinsetzten, denn ihn faszinierte es, wenn ein Widerstand zu brechen war. Der Friseur malte sich mit großer Sorgfalt und vielen Details Gefahren aus: In seinen Träumen verwandelte sich das Flüsschen Kamionka in einen rasenden Jenissej, der sich mit so gewaltiger und plötzlicher Heftigkeit über die Ufer ergoss, dass nur er sich auf einem elenden Floß retten konnte, er und eine Frau in durchnässter Kleidung, die ihr am Körper klebte. Und wenn es keine Flut war, dann war es eine Feuersbrunst, Flammen verschlangen Kamieńsk, Scheiben platzten vor Hitze, Bäume und Hausdächer brannten lichterloh, es brannten die Haare, die er zuvor frisiert hatte, und er stand ganz allein einer Frau gegenüber, deren Schreie niemand gehört hatte. Manchmal war diese Frau Hawa, manchmal Aurelia Borowiecka, öfter aber waren es die Teetanten, immer im Duett, denn so wie alle anderen behandelte Tadeusz Kruk sie wie ein Wesen, wie siamesische Schwestern, die auf eine zwar unsichtbare, aber doch offensichtliche Art und Weise miteinander verwachsen waren. Die Teetanten, unverheiratet, aber mit Kind, und dazu noch einem Findelkind, waren wie zwei Mütter, die nicht dazu berechtigt waren, Mutter zu sein, und sie besaßen in seinen Augen eine aufreizende Art von Freiheit. Der Geruch nach verwehten Blüten, das Fehlen jeder Koketterie und die weitgehende Gleichgültigkeit der Teetanten gegenüber Männern, die weder eine einstudierte Ködertechnik war noch Resignation, sondern die schlichte Wahrheit ihres Daseins, wirkten anziehender auf ihn als Jugend und Schönheit. Immer weniger reichten dem Friseur seine Träume, denn ihnen fehlten die Gerüche, die von den Frauenhaaren aufstiegen, dieser zarte Hauch von Fett und Moschus, verzehrten Mittagessen und aufgesprühtem Parfüm. Er warf das abgeschnittene Haar nicht mehr weg, jeden Abend sammelte er die gestutzten Strähnen und die weichen Kissen angebrannten Dauerwellenhaars vom Boden auf, und die kostbarste Beute waren die ganzen Zöpfe, die glatt und kalt waren wie Schlangen. Er sammelte sie in einem Leinensack, der unter seinem Bett lag, und in seiner Sammlerleidenschaft vergaß er sich so sehr, dass die Kundinnen unzufrieden zischten: Wo haben Sie denn Ihre Augen, Herr Tadziu, sehen Sie doch mal, Sie haben mir ja fast eine Glatze geschnitten! Er schnitt und blickte lüstern auf das Haar, das er nicht schneiden durfte: Die bauschigen

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