Wolkenfern (German Edition)
säuerlichen Sommeräpfeln, von denen hat man im Lager geträumt, so klar und deutlich, Sie werden es nicht glauben, Herr Derektor, man hat beim Aufwachen noch den Duft in der Nase gehabt. Tadeusz Kruk redete und schluckte, und jeder, der ihn anhörte, bekam Lust auf dünn geschnittene Zwiebeln, mit Salz bestreut auf einem Stück Schmalzbrot, oder auf einen Apfel, direkt vom Baum gepflückt und noch taubenetzt. Sie haben was mitgemacht!, sagten die rasierten und frisierten Männer, und die gefärbten und gelockten Frauen sagten flehend: Heilige Muttergottes, Herr Tadziu!, und der Friseur war sich nie sicher, ob sie ihn baten aufzuhören, oder ob sie nicht doch noch mehr Schreckensgeschichten hören wollten von erfrorenen Fingern, Ohren und Nasen, die den Gefangenen einfach abfielen, so dass man sie morgens auf dem Boden der Baracke zusammenfegen musste. Also redete er von den Fingernägeln, die weich wurden wie Teig, und von den Zähnen – die konnte man einfach so aus dem blutigen Zahnfleisch ziehen, und von den Wunden voll Eiter und Maden. Es bereitete ihm Vergnügen, dass sie zuhörten, und er nutzte es aus, denn er wusste, dass es sich nicht schickte, denen das Wort abzuschneiden, die von dort zurückgekehrt waren. Es konnte auch niemand seinen Heldenmut in Frage stellen, die Äpfel, Zwiebeln und Brotrinden, die er im Lager den Schwächeren gegeben hatte, denn auch wenn ein Teil der Augenzeugen nicht mehr lebte, diejenigen, die überlebt hatten, mussten es genauso in Erinnerung haben wie er. Tadeusz Kruk, der Friseur von Kamieńsk, meinte, die Wahrheit sei etwas, das entstehe, wenn man eine Geschichte oft genug wiederholte. Deshalb redete er immer wieder von den Äpfeln und Zwiebeln, den hungernden Frauen, denen er schenkte, was er sich vom Mund abgespart hatte. Er redete und schluckte, und in den Spiegeln wiederholte sich die Bewegung des Adamsapfels am Hals des Friseurs, der sein Abbild mit den glatt pomadisierten Haaren betrachtete.
Tadeusz Kruk gehörte zu dem traurigen Schlag von Männern, denen es dem Anschein nach an nichts mangelt, sie haben ein normales Gesicht, das weder hübsch noch hässlich ist, sind mittelgroß und haben einen anständigen Beruf, trotzdem war es bei allen Mädchen in Kamieńsk so, dass sie schließlich anstatt seiner einen Alkoholiker wählten, der es in keiner Stellung länger aushielt als einen Monat, oder sie gingen nach Łódź, bekamen Arbeit in einer Weberei, und er sah sie nie wieder. Tadeusz Kruk hatte keine Freunde, nur der für sein weiches Herz bekannte Mateusz Suliga ließ sich manchmal dazu überreden, mit ihm auf dem Bolzplatz der Schule Boxen zu trainieren, wobei der sanfte Zuckerbäcker, ganz gegen seinen bewussten und sanften Willen und dennoch einem plötzlichen inneren Antrieb folgend, dem Friseur einen Hieb auf die Wange oder in den Magen versetzte. Selbst die unehelich geschwängerte Elwira Strak aus Kleszczowa, für die eine baldige Verheiratung der einzige Ausweg war, wie ihr alle Eingeweihten sagten, als ob sie das nicht selbst wüsste, stieß den Friseur entschlossen beiseite, so, wie es hungrige Tiere tun, die nach Beeren schnüffeln und das giftige Unkraut dabei beiseiteschieben. Er lief Elwira hinterher bis auf den Bahnhof und kam dort an, als der Zug nach Radom sich gerade anschickte loszufahren; Tadeusz Kruk gelang es noch, den Arm in der grauen Bluse zu packen und seine Finger fester darum zu schließen, als er wollte, weil er fühlte, dass ihm da die letzte Chance auf etwas entglitt, das man in Kamieńsk das normale Leben nannte, doch als Elwira, die auf den Stufen des Waggons stand, ihm das Gesicht zuwandte, erblickte er verdutzt Entsetzen und Abscheu in ihrem Gesicht, sie malten sich darauf so deutlich ab wie Blut im Schnee. Er ließ sie los, sollte sie fahren; wie versteinert stand er auf dem Bahnsteig, denn plötzlich stieg das, was er in den grauen Augen der Frau gesehen hatte, wie eine Woge in seinem mittelgroßen und mittelhübschen Körper auf. Tadeusz Kruk begriff plötzlich, dass er etwas Schreckliches in sich trug, etwas, das zäh und schwer war wie Ruß. Tadeusz Kruk krümmte sich, als hätte er von Mateusz Suliga einen Schlag ins Sonnengeflecht bekommen, und er spürte, dass alle seine Träume von Macht, Gewalt und Angst der Frauen, dass alle diese Träume, die ihm Vergnügen und Erregung verschafften, wahrhaftiger waren als die Wirklichkeit. Auf dem Bahnhof von Kamieńsk begriff er plötzlich mit erschreckender Klarheit, dass es der
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