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Wolkenfern (German Edition)

Wolkenfern (German Edition)

Titel: Wolkenfern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanna Bator
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Kommunionstollen der Mädchen, die straffen Zöpfe der Schülerinnen, den Dutt von Aurelia Borowiecka, die Ringellöckchen der kleinen Grażynka Rozpuch. Er schnitt Frauenhaar ab, bis er so viel gesammelt hatte, dass er sich damit Matratze und Kissen ausstopfen konnte. Auf diesem Lager aus Frauenhaar, das nachts unter der Wärme seines Körpers lebendig wurde, träumte Tadeusz Kruk, der Friseur von Kamieńsk, die herrlichsten Träume und bemerkte den Ausbruch des Krieges erst, als Hawa Borowic, Aurelia Borowiecka, die Teetanten und Grażynka mitsamt ihrem Haar aus seinem Blickfeld verschwanden. Als er einmal nach Radomsko fuhr, um die Perücken abzuholen, die die noch immer zahlungsfähige Frau des Schlächters von Kleszczowa bestellt hatte, geriet er in eine Razzia und konnte sich nicht herausreden. Nach der Haft in Radomsko und Tschenstochau kam er verlaust, geprügelt und ausgehungert ins Lager, denn trotz seiner ganz unsemitischen Gesichtszüge weckte er wegen der Perücken und Pomade solchen Verdacht, dass er – sicher ist sicher – als Jude und Homosexueller behandelt wurde.
    Bereits nach zwei Wochen in einer Baracke mit fünfzig fremden Männern erkannte Tadeusz Kruk, dass ihn etwas von den anderen unterschied. Im Gegensatz zu Wojciech Popioł zum Beispiel von der Pritsche über ihm, der solche Angst hatte, dass er im Schlaf Mamamamamama rief, oder zu Janusz Kukulka in der Pritsche links von ihm, der überhaupt kein Wort mehr herausbrachte und schließlich auf die Größe eines Säuglings geschrumpft starb, spürte er nur die fremde Angst, vor allem die Angst, die von den Frauenbaracken zu ihm herüberwehte. Die schlimmsten Schikanen blieben ihm erspart, und selten fiel der Blick des rotwangigen und gutherzig wirkenden Kapos auf ihn. Martin Kalthöffer war selbst erstaunt über seine Nachsicht gegenüber diesem Häftling, der in seinen Augen nie eine besondere Strafe verdient hatte, ja, er hatte nicht einmal Lust, sich auf seine Kosten zu amüsieren, indem er ihn den Boden ablecken oder Scheiße fressen ließ. Vielleicht spürte ein Teil seines Wesens, dass der Friseur, der alle Befehle mit automatenhafter Genauigkeit und niedergeschlagenen Augen ausführte, sich auf derselben Seite der Angst befand wie der Quäler, und deshalb hatte er in seinem Innern keinen Platz für die Angst. Die Angst fürchtet sich nicht! Die Angst war viel größer als der Mann, der auf einem Lager aus Frauenhaar seine süßen Träume träumt, ein Entsetzen, das Vögel im Flug verenden und Blut zu Milch gerinnen lässt, das witterte der Friseur aus Kamieńsk mit seiner kleinen, rundlich auslaufenden Nase und kam zu dem Schluss, dass er an einem Ort, wo Angst herrschte, nicht zugrunde gehen würde. Er aß das Wasser mit fauligen Kohlblättern, kaute mit seinen kleinen Zähnen das Brot, das hart war wie Baumrinde, und als Friseure zur Arbeit bei den Gefangenentransporten gesucht wurden, meldete er sich ohne Zögern, denn er wusste, worin seine Arbeit bestehen würde.
    Sie waren zu zwölft, aber nur Tadeusz Kruk ging mit freudigem Herzen zur Arbeit. Sie waren zu zwölft, und zwölf Schemel standen bereit, auf denen die Frauen so standen, dass sich die Friseure beim Rasieren ihrer Schamhaare nicht bücken mussten. Diejenigen, die bei der Eingangsselektion zum Überleben eingeteilt waren, sollten bald darauf Menstruation, Zähne und oft auch das Leben verlieren, aber zuerst mussten sie ihre Haare verlieren. Zuerst fielen die hellen, dunklen, roten, grauen, kurzen und zu dorfmädchenhaften Zöpfen geflochtenen Haare, die noch nie einen Friseur gesehen hatten. Lockige und lockig gedrehte, gewellte und krause, glatte und zerzauste, Haare, die gelb gefärbt waren bis zur Unkenntlichkeit und nicht zu den schwarzen Augen und Brauen passten, in Eichenrinde und Kamille gebadet, mit den überflüssig gewordenen Bändern und Spangen, mit getrocknetem Blut und Resten von Rosenpomade, mit dem Geruch nach Angst und dem Geruch nach Tod. Was zählte, war Schnelligkeit, und der schnellste der zwölf Friseure war Tadeusz Kruk, während einer der zwölf, verlockt von der Aussicht auf größere Essensrationen und Arbeit unter einem Dach, nur so tat, als verstehe er etwas von dieser Arbeit, denn in Wirklichkeit war er Schafzüchter und hatte bisher nur Schafe geschoren. Was zählte, war Schnelligkeit, aber es ist keine Kunst, schnell und achtlos zu schneiden – Tadeusz Kruk schnitt ohne Hautverletzungen und rasierte ohne Kratzer, dennoch zitterten die

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