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Wolkenfern (German Edition)

Wolkenfern (German Edition)

Titel: Wolkenfern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanna Bator
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verkaufen. Zwei Ringe Wurst, die der melancholische Lehrer aus verdächtigem Fleisch gemacht hatte, vier Kilo illegales Schweinefleisch und ein paar Gläser Sauerkraut verteilten sie geschickt unter ihren Mänteln und in den Manteltaschen, und um den Hals hängten sie sich Ketten aus Trockenpilzen. Sie nähten auch Menstruationsschlüpfer aus alten Bettlaken, Krieg hin, Krieg her, Frauen bluteten trotzdem. In Frankreich hatte man angeblich Menstruationshosen zum Einmalgebrauch erfunden – konnte das wahr sein?, fragten sich die Teetanten, denn sie waren neugierig und wissensdurstig, auch wenn sie nicht viel von der Welt gesehen hatten. Unterdessen überlegten sie, was sie für welche Summe verkaufen konnten, ohne Halsabschneider zu sein, aber doch so, dass es sich für sie lohnte. Zuletzt packten sie den Nachttopf Napoleons in einen Rucksack, den sie Grażynka auf den Rücken schnallten, und dann waren sie zum Aufbruch bereit. Auf dem Radomsker Bahnhof gerieten sie gleich in ein großes Gedränge, am anderen Bahnsteig sollte ein Zug nach Piotrków abfahren, hieß es, und plötzlich hatten sie Grażynka aus den Augen verloren. Einen schrecklichen Moment lang standen die Teetanten da und schrien den Namen ihres Kindes, während eine so entsetzliche Woge der Angst über sie schwappte, dass sie darin untergegangen wären, wenn sie sich nicht an den Händen gehalten hätten. Als Grażynka endlich wieder auftauchte, von ihnen nur durch ein paar dickliche, einander merkwürdig ähnliche Männer getrennt, konnten sie nicht mehr aus dem Bahnhof hinaus – weder in die Stadt noch auf einen Bahnsteig, denn beide Ausgänge waren von Deutschen versperrt. Eine ältere Ordensschwester stolperte neben ihnen und stürzte zu Boden, Grażynka half ihr auf. Razzia!, schrie jemand, aber für eine Warnung war es zu spät. Mit Gewehrkolben wurden sie in eine Ecke getrieben, ein Mann, der fliehen wollte, fiel von einer Kugel getroffen am Fahrkartenschalter, und eine der Teetanten, wahrscheinlich Aniela, dachte – wie merkwürdig, das Geräusch eines Schusses hätte sie sich anders vorgestellt. Als der Deutsche die Waffe gehoben und geschossen hatte, hatte sie unbewusst erwartet, das Piff-paff zu hören, mit dem der Fabrikant Antoni Mopsiński die unter seinem Dach beherbergten Verwandten des Gutsherrn erschreckte, um sich über ihre Abneigung gegen die Hasenjagd lustig zu machen. Er kam mit einer Handvoll toter Tiere, und wenn Róża und Aniela mit zugehaltenen Augen davonliefen, um es nicht sehen zu müssen, rief er hinter ihnen her: piff-paff, piff-paff. Dieser Tod war genauso echt wie der Tod der Hasen, und die Teetanten dachten bei sich, die menschliche Zunge sei doch nie und nimmer imstande, den Klang des Tötens nachzuahmen, obwohl die Menschen an sich mit dem Töten ja gar keine Schwierigkeiten haben. Sie standen nebeneinander, Grażynka in der Mitte, jetzt konnte man nur noch warten. Sie hatten keine Chance, zwei Frauen mit illegalem Fleisch für den Handel, sie waren verloren. Die Teetanten schauten einander an, beide hatten sie diese Art Vorahnung, die sich zu bewahrheiten pflegt. Neben ihnen stand die Ordensschwester und betete flüsternd. Vielleicht war es Róża, vielleicht Aniela, die sich zuerst flüsternd in der Nonne Flüstern mischte und leise fragte, ob sie das Mädchen nehmen könne. Bei einer Ordensschwester hatte Grażynka eine Chance. Die Schwester solle sie bitte nehmen, flüsterten die Teetanten unisono, während Grażynka aus Protest ihre Hände immer fester in die der Teetanten krallte. Die Schwester solle sie zu sich nehmen, sie heiße Grażynka Rozpuch, unsere Grażynka, elf Jahre alt, gute Papiere. Die Nonne zögerte und trat einen Schritt zurück, ich nehme sie zu mir, sagte sie. Sie fahre zurück nach Tschenstochau, dort arbeite sie in einem Waisenhaus, sie könne Deutsch, die Kleine solle jetzt auch nur mit ihr einen Schritt zurückgehen. Wie würden sie sie finden? Sie heiße Bernadette, Schwester Bernadette vom Orden der Anbetenden des Blutes Christi, so heiße sie, sie würden sie finden, wenn sie zurückkommen, sollten sie zurückkommen, dann würden sie sie auch finden. Die Teetanten, mäßig religiös und in ihrem Leben von mystischen Anwandlungen unbehelligt, fanden dieses Blut Christi und die Vorstellung einer solchen Gruppenanbetung plötzlich schrecklich, aber bei der Nonne hatte Grażynka bessere Überlebenschancen als bei zwei Frauen mit verbotenem Fleisch unterm Mantel. Langsam, aber

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