Wolkenfern (German Edition)
Frauen auf seinem Schemel am meisten, denn während die anderen elf schnitten, um zu überleben, lebte der Friseur von Kamieńsk, um zu schneiden. Nach dem Kopfhaar kam das Schamhaar an die Reihe, und wenn die kahlgeschorene Frau auf den Schemel stieg, hatte sie die Grenzen von Scham und Demütigung schon überschritten, und ihre Angst wurde zu einer Art reinem Destillat, während der Friseur mit sichtlichem Vergnügen behutsam ihre Schenkel auseinanderschob und die mit dem Rasiermesser bewaffnete Hand dem Schamhaar näherte. Vor ihm standen erwachsene Frauen mit weichen Bäuchen, die Kinder getragen hatten, gepflegte und ungepflegte, Frauen mit zartem hellem Flaum und solche mit üppigem Dickicht, das sich bis auf die Innenseite der Schenkel zog und in Richtung Bauchnabel wanderte; alte Frauen, die aber noch nicht alt genug waren, um direkt ins Gas geschickt zu werden, und junge, die nicht jung genug waren, um als Kinder zu gelten. Tadeusz Kruk schnitt und rasierte, der Haarhaufen neben seinem Schemel wuchs schneller als alle anderen, und gegen Abend stand er bis zu den Knien in Frauenhaar, getränkt mit dem Geruch der Angst. Während die anderen elf in Erwartung des Abends Hoffnung auf eine zusätzliche Brotration oder einen Streifen Fleisch nährten und jeder in Gedanken so weit wie möglich von diesem Arbeitsplatz entfernt sein wollte, träumte der Friseur von Kamieńsk, sobald er mit einer Frau fertig war, schon von der nächsten und überlegte, welches Aroma er wohl in ihrem Grauen erschnuppern würde. Je größer ihre Angst, desto besser seine Arbeit, denn hier ging es nicht um kleine Ängste, sondern nur um feine Abstufungen der größten aller großen Ängste. Die frische Angst derer, die gerade erst angekommen waren, unterteilt in die Angst der Mütter um ihre Kinder und die Angst der Kinder um ihre Mütter, die schreiende Angst getrennter Liebender und die Angst vor Hunger, die Angst vor Gewalt und die allerhäufigste Angst vor Schmerzen, Angst davor, es nicht auszuhalten, und Angst davor, es auszuhalten, die rot unterfütterte Angst derer, denen das Liebste schon entrissen wurde, und die Angst der Frauen, denen es gelungen war, ihre Schwangerschaft zu verbergen. Es gab auch eine alte und abgenutzte Angst, die, verhärtet und taub, in den Haaren der Frauen lebte, die nach mehreren Monaten in der Spezialbaracke zum Rasieren geschickt wurden. Diesen Hübschesten mit vollen Brüsten und runden Hüften war es gestattet, die Haare zu behalten, sie bekamen besseres Essen, sogar Vitamine, Wasser zum Waschen, welche Großzügigkeit im Gegenzug für die Pflicht, täglich in schrankgroßen Kopulationszellen ein gutes Dutzend, manchmal sogar mehrere Dutzend Männer zu bedienen. Sicherheitshalber probierten zuerst die SS -Männer die ausgewählten Frauen aus, obwohl das verboten war, danach kam alle zwanzig Minuten ein anderer Mann an die Reihe, der mit seinem Gutschein in die Spezialbaracke gekommen war, weil Heinrich Himmler das so angeordnet hatte, denn Ordnung muss sein; Ordnung ist die Grundlage, Tag für Tag, monatelang, immer im Liegen und unter dem wachsamen Auge des Wächters, der ein Auge darauf hielt, ob sich auch beim Kopulationsvorgang nicht irgendwelche Gefühle entwickelten, Gefühle waren lästiger als Kinder, denn diese konnte man ja irgendwie loswerden. Wenn eine Frau aus der Sonderbaracke verbraucht war, brauchte sie ihre Haare nicht mehr, und sie kam in eine normale Baracke, wo es ihr mit etwas Glück – hier möglicherweise ein unpassendes Wort – gelingen konnte zu überleben, während es ihr hingegen nie gelingen würde zu vergessen. Nur Tadeusz Kruk spürte, wie sich die verschiedenen Gerüche auf dem Boden vermischten, wo der Berg aus Haaren weiter wuchs. Am Abend wurden die Haare als nützliches Material in Säcken gesammelt, denn der Friseur aus Kamieńsk war nicht der Einzige, der auf die Idee gekommen war, damit Matratzen auszustopfen, und jetzt fegte er sorgfältig Flaum, Locken, Büschel und Zöpfe zusammen, ganz angetan von der Tatsache, das man das in industriellem Maßstab betreiben konnte. Der ehemalige Schafzüchter dachte: Schafe, ich schere Schafe, Schafe geben Wolle, Pullover, Wärme, Schafe geben Milch, Käse, Zuhause; er besaß nicht das meisterhafte Geschick des Tadeusz Kruk, doch jedes Mal, wenn er anfing, eine Frau zu rasieren, flüsterte er Verzeihung , und obwohl er das auf Rumänisch sagte, linderte der Ton seiner Worte allein ein wenig die Angst, und für viele
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