Wolkenfern (German Edition)
sie teilt den Namen Mał-go-sia in Silben auf, doch sie sieht nur ein Gesicht vor sich, Orte, Dinge, die geschehen sind, weiter nichts. Adaś, denkt sie, A-daś, doch anstelle der früheren Liebe – Jadzia behauptet, Dominika sei wie von Sinnen verliebt gewesen, und deshalb sei das alles passiert, es muss also eine Liebe gegeben haben – ist jetzt nur Leere da. Sie hatte auf ihn gewartet, aber er war nicht gekommen, die Mutter erzählt ihr jetzt, dass er aus Piaskowa Góra verschwunden ist, nach Rom soll er gefahren sein, in den Vatikan. Rom, denkt Dominika, auch dieser Name ist leer, wie die Liebe. Adaś, Małgosia, Mutter. Sie erinnert sich daran, dass sie sich mal mit Małgosia über Rom unterhalten hatte, Małgosia hatte erzählt, sogar im Winter sei das Licht dort golden, in ruhigen goldenen Strömen fließe das Licht dort durch die Straßen, und am frühen Morgen verkaufen die Händler Obst und Gemüse auf dem Campo dei Fiori. Körbe mit Oliven und Zitronen auf dem Campo dei Fiori! So ein Licht, das siehst du nie in Wałbrzych!, hatte Małgosia gesagt. Mał-go-sia, Campo dei Fiori, denkt Dominika. Bloß gut, dass der nach Rom verschwunden ist, fährt Jadzia fort, ab mit Schaden, sehr gut ist das, obwohl sie ihm gern die Leviten gelesen hätte, wie kann man einem Mädchen so den Kopf verdrehen und dann die Beine in die Hand nehmen und weg, ein Schwein ist das, kein Pastor. Ein Schwein, zischt Jadzia durch die Zähne, und kein Pastor, wenn Stefan noch lebte, der hätte sich diesen Adaś vorgeknöpft, ein Brocken von einem Kerl war dein Papa. Weißt du noch, Kind? Mir nichts, dir nichts hat er dich auf die Schultern genommen und ist mit dir herumgetanzt, dass mir das Herz bis zum Hals geschlagen hat vor Angst, er könnte dich fallen lassen. Diese zwei – so nennt Jadzia Jagienka und Edyta –, diese zwei, die sind es selber schuld, die Lepka hat gesehn, wie sie sich auf der Terrasse haben volllaufen lassen, und besoffen sind sie ins Auto gestiegen. Sie hatte ja nie was von dieser Jagienka gehalten, sie, Jadzia Chmura, lässt sich nicht so einfach an der Nase herumführen, wenn einer nett grüßt, sie fällt nicht auf ein hübsches Gesichtchen rein, feine Kleidchen und so. Es gibt noch Gerechtigkeit auf der Welt, obwohl das für die Eltern ein schreckliches Unglück ist. Beide tot, Jagienka und Edyta, da war nichts mehr zu retten gewesen. Jagienka und Edyta – wiederholt Dominika, doch das Unglück der beiden ist wie die Todesanzeige eines Unbekannten an einem Haustor, an dem sie zufällig vorbeigeht, ihre Schuld ist weder verziehen noch unverziehen. Sie selbst fühlt nichts, als schlafe ein Teil von ihr noch, doch sie liest in Jadzia wie in einem offenen Buch und sieht, dass die Mutter etwas Wichtiges verschweigt. Jedes kurze Schweigen, in dem eine Frage fallen könnte, schüttet sie zu mit Worten übers Wetter, mit Seufzern über die hohen Preise, Krampfadern, die Kuchen, die sie Dominika backen würde, wenn sie nach Piaskowa Góra zurückkehrten. Sie hat von Grażynka neue Rezepte, aber erst mal wollen sie was backen, das sie beide kennen, Mohr im Hemd, oder Streuselkuchen, oder kalten Hund. Auf so einen kalten Hund, einen hausgemachten, hättest du doch Appetit, oder?, fragte Mutter Chmura ihre Tochter. Izaura bäckt man heute eigentlich nicht mehr, aber wenn Dominika möchte, dann findet sie das alte Rezept, irgendwo wird sie es noch haben, sie muss bloß ein bisschen in den Schubladen kramen. Was hättest du lieber, Kind – Mohr im Hemd oder kalten Hund? Oder Izaura? Sobald sich die vage Möglichkeit abzeichnet, dass das Gespräch auf Zalesie kommen könnte, legt sich Jadzia ins Zeug wie ein Hetman, der seiner Truppe zuruft: Nein, nicht dort entlang, da kommen wir nicht durch, nur über meine Leiche.
Zu Jadzias Glück ließen die Ärzte ihnen nicht viel Zeit, denn in diesen ersten Tagen, nachdem Dominika aufgewacht war, vergingen täglich Stunden damit, dass sie durchgeröntgt und abgeklopft wurde, man leuchtete ihr in die Augen und in den Kopf, und sie wurde in eine große Metallröhre geschoben, wo ihr Gehirn mit Lichtstrahlen in Scheiben geschnitten wurde, ihr Blutdruck wurde gemessen, Blut- und Urinproben in ihre Bestandteile zerlegt. Zu allen Untersuchungen begleitet sie die Krankenschwester Sara, die ihr die Anweisungen des Arztes ins Englische übersetzt. Englisch hat Dominika im Gymnasium gelernt, obwohl Jadzia für Deutsch gewesen war: Was willst du mit Englisch, Kind, in diesem England
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