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Wolkenfern (German Edition)

Wolkenfern (German Edition)

Titel: Wolkenfern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanna Bator
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dich satt essen, das ist es, was du brauchst, ich werd dich schon aufpäppeln, mein Nörgel-Jörgel. Dominikas Körper braucht noch besondere Fürsorge, eine ausgefeilte Diät, Massage und Behutsamkeit, denn sie hat ein paar Metallplatten und -schrauben im Körper, mit denen man ihre zertrümmerte Hüfte und den gebrochenen Schenkelknochen geflickt hat. Die Ärzte erklären, dass die Patientin Chmura nach Hause gehen kann, wenn sie weiterhin unter der Aufsicht der erfahrenen Reha-Krankenschwester Sara ihre Übungen macht, was Grażynka bezahlt. Grażynka nimmt die verwirrte Jadzia in den Arm und sagt: Mach dir keine Sorgen wegen dem Geld, irgendwann hast du Geld und zeigst dich jemandem damit erkenntlich.
    Jetzt, da Dominika beinahe wieder gesund ist, sitzt Jadzia in Grażynkas großem Haus wie auf Kohlen. Immer heißt es, diese BeErDe sei so toll, aber irgendwie ist es einem doch unheimlich, monologisiert sie in ihren schlaflosen Nächten vor sich hin. In Piaskowa Góra kann man wenigstens noch rüber auf den kleinen Manhattan-Markt gehen, aber in diesem Mehrholtz gibt es keinen einzigen Laden, überhaupt kein Leben, jeder sitzt bloß in seiner Bude. Und wenn sie mit Grażynka zum Einkaufen fährt, dann ist da so viel und alles ist so fremd, man kann sich regelrecht verirren. Anstatt von einem normalen Konsum ist da eine ganze Stadt unter einem Dach, ein Laden am anderen, und fährt man mit der Rolltreppe auf die nächste Etage, sind da wieder Läden. Heilige Muttergottes, der Kopf kann einem platzen davon! Und diese Lebensmittelchen, die es hier gibt, die gefallen Jadzia gar nicht. Da will man zum Beispiel Käse kaufen, am besten Gouda, und natürlich holländischen, aber hier liegen an die hundert Käse in der Theke, groß wie Mühlräder und nicht in Scheiben geschnitten, dabei kann man den Käse doch zu Hause nie so dünn schneiden, dass er in Scheiben aufs Brot passt. Und übrigens, mal ganz ehrlich, sagt Jadzia zu Dominika, dieses deutsche Brot, das sie hier haben, das taugt zu nichts, und überhaupt dieses Wort »Brot«, das passt doch gar nicht zu so einem richtigen Laib. Brot ! Das soll Brot sein? Polnisches Brot, das duftet, aber dieses hier – das ist doch nichts als Chemie, Sägespäne ohne Geschmack. Und stell dir mal vor, Topfen, den kennen diese Deutschen überhaupt nicht, wie soll man da russische Piroggen machen? Und das Geselchte. Dieser Schinken hier, so trocken und dunkel, und die schneiden ihn so dünn, dass man bis Paris durchgucken kann. Gar nicht so wie unserer, so rosa, mit ein bisschen weißem Fett und saftig. Wozu soll man den Schinken so dünn schneiden, wenn man nicht sparen muss? Jadzia wundert sich. Käse muss dünn geschnitten sein, Schinken dick! In Zusammenhang mit Schinken hat Jadzia aber auch noch eine andere Sorge: Seit ihre Tochter aufgewacht ist, nimmt sie kein Stück Fleisch mehr in den Mund. Weder Schinken noch gebratenes Hühnchen, ganz zu schweigen von Würstchen, deren deutsche Variante Jadzia auch weniger zusagt als die polnische, aber Fleisch ist Fleisch, das gibt Gesundheit und Kraft. Riech doch mal, wie lecker, sie hält ihr die Stücke Fleisch unter die Nase, riech doch, dann kriegst du Appetit, aber das Kind wendet sich vom Fleisch genauso ab wie vor achtzehn Jahren von ihrer Brust, schlimmer noch – es muss sich erbrechen. So wirst du nie zu Kräften kommen, lamentiert Jadzia, Kraft kriegst du nur vom Fleisch, aber Dominika lässt sich nicht beirren. Ihr Körper verschließt sich einfach vor allem, was einmal ein Tier war, er sieht im Fleisch das, was er selbst ist – der leblose Körper mit Muskeln, Fett und Blut eines anderen Wesens, das auch Augen, eine Zunge, ein Herz hatte. Verbranntes menschliches Fleisch ist der schrecklichste Geruch, den es gibt, sie hatte ihn vor dem Unfall nicht gekannt, aber jetzt weiß sie, dass die Erinnerung daran schon in ihr geschlummert hat, schrecklich wie der brennende Kleine See der Spinnennixe, in dem sie fast ertrunken wäre. Wenn niemand zuschaut, riecht sie an ihren Händen, Knien, Armbeugen, und am liebsten würde sie nie aus dem Schwimmbad oder aus der Wanne mit duftendem Schaumbad steigen. Grażynka kauft Dominika probeweise Tofu, doch Jadzia pickt mit dem Finger an der weißen Masse und fragt: Dieses Kalkzeug willst du essen? Ja, das wird sie, sie vermischt das Kalkzeug mit einer braunen Sauce, die Jadzia an Maggi erinnert, streut Schnittlauch darüber und fängt nicht mehr wie früher einen Streit mit der Mutter

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