Wolkenfern (German Edition)
an, obwohl diese versucht, sie zu provozieren, denn unbewusst ist sie der Überzeugung, dass sie erst durch einen richtigen Krach mit Schreien und Türenschlagen ihr Kind wiedergewinnen wird. Sie ist eifersüchtig auf Dominikas Gespräche mit Grażynka, die meistens um Oma Halina kreisen, sie fühlt sich ausgeschlossen und wundert sich, dass man so viel über ihre Schwiegermutter zu reden hat. Pakete! Sie reden von den Paketen, die Grażynka Halina aus der BeErDe geschickt hat, sie lachen, und Jadzia wird klar, dass ihre Schwiegermutter ihre Geheimnisse hatte, ein eigenes Leben außerhalb der sonntäglichen Mittagessen, und dass sie, Jadzia, nach Stefans Tod die Einsamere von ihnen beiden war.
Durch die Gardinen beobachtet Jadzia, wie Dominika mit Sara im Garten ihre Übungen macht. Wenn sie mit angespannten Schultern und Beinen an einen Baum gelehnt steht, sieht sie aus, als wollte sie den Baum versetzen. Kann das gesund sein? Und das jetzt? Dominika und Sara stehen wie Störche auf einem Bein und machen merkwürdige langsame Bewegungen, als schlichen sie sich an einen unsichtbaren Gegner heran, schöben ihn zur Seite, umarmten Kugeln aus Luft. Wenn das bloß nicht irgendeine Sekte war! Diese Schwarze, die hatte bestimmt irgendeinen Tierglauben oder ein anderes Hui-Pfui in dieser Richtung, sie wird das Kind ganz durcheinanderbringen. Jadzia wird sehr nervös, wenn Dominika und Sara auf der Hollywoodschaukel sitzen und umgeben von abgefallenem Herbstlaub schaukeln. Sie wüsste gern, wovon sie reden, oder vielmehr, wovon Sara redet, denn von ihrem Beobachtungsposten hinter der Gardine aus sieht Jadzia, dass Dominika vor allem zuhört. Sie hat die Arme um die mageren Knie geschlungen, und ab und zu dreht sie das Gesicht ihrer Gefährtin zu. Was für gelbe Augen diese Schwarze hat, wie eine Katze oder eine Hexe. Ein Hintern wie ein Kleiderschrank, ohne jedes Gespür, mit so einer Figur trägt die Jeans, also wirklich!, brummelt Jadzia kopfschüttelnd.
Sie hätte so gerne ihr wundersam dem Tode entronnenes Kind beschützt, aber das Kind entfernt sich schon wieder von ihr in irgendeine unvorhersehbare Richtung. Warum ist dieses Kind sogar jetzt, so geschwächt und versehrt, so schwer zu lenken? Die Mutter hat das Gefühl, dass Dominika von einem Minenfeld umgeben ist, das sich kaum ohne die Einbuße einzelner Gliedmaßen betreten oder gar überqueren lässt, ein unvorsichtiger Schritt, und schon ist das Unglück da. Abends, beim Teetrinken, fragt Jadzia, was ihr diese schwarze Spinnert-Spleenige denn stundenlang erzählt, aber sie korrigiert sich ganz schnell, na ja, sie ist zwar spleenig, aber zugegebenermaßen auch wirklich fleißig und sauber, denn ihre Tochter wirft ihr einen Blick zu, dass es ihr kalt den Rücken runterläuft. Doch es gibt keinen Knall, wie es vor dem Unfall unweigerlich passiert wäre, kein Geschrei, keine Vorwürfe, kein »du verstehst aber auch nichts!«. Dominika seufzt nur, und sie wäre sehr erstaunt, wenn sie wüsste, wie ähnlich ihr Seufzer denen ihrer Mutter ist. Sara erzählt mir alles Mögliche, sagt Dominika. Über ihr Leben, woher sie kommt und überhaupt. Und woher ist sie? Aus Amerika, aus New York, aus dem Stadtteil Brooklyn, dort wohnt ihre Oma La-Teesha. Schon wieder dieses Amerika. Konnte sie wirklich nicht einmal, nur dieses eine Mal, der Mutter einen Gefallen tun und sich mit einem normalen Menschen anfreunden? Erst dieser Junge, der halb Grieche, halb Zigeuner war, dann dieses Mannweib Małgosia und dazu ein Kaplan, jetzt eine Negerin, New York, Wolkenkratzer mit hundert Stockwerken, dass einen vom bloßen Denken daran schon der Schwindel packt. Jadzia wünscht sich, dass Dominika sich mit einem netten Mädchen von Piaskowa Góra anfreundet. Oder besser noch mit einem netten Burschen, der ernste Absichten und gute Aussichten hat, einem Jura- oder Medizinstudenten.
Jadzia Chmura hat immer stärkeres Heimweh nach Piaskowa Góra, immer mehr sehnt sie sich danach, endlich nach Hause fahren zu können. In diesem Zusammenhang hat Dominikas Mutter allerhand – zuweilen auch widersprüchliche – Sprichwörter und Weisheiten parat, mit denen sie ihr sehnsuchtsvolles Seufzen ausschmückt. Das Gras ist immer grüner auf der anderen Seite des Zauns, und zu Hause ist’s doch am allerbesten, sagt sie und wäre gern auf Piaskowa Góra, von wo aus die BeErDe viel schöner wirkte als aus der Nähe, das Brot roch nach Brot dort, und sie herrschte uneingeschränkt in Küche, Bad und zwei
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