Wolkenfern (German Edition)
Werkstatt für Nähmaschinenreparaturen. Leider verdient Pan Malec nicht genug auf dem Bau, um es ihnen zu ermöglichen, die Siebte Straße hinter sich zu lassen, und deshalb sind sie auch immer noch auf die Gnade der Kirche angewiesen. Wenn Pani Malec New Jersey erwähnt, sagt Pan Malec: Warte noch ein bisschen, mein Mäuschen, bald ist es so weit, und im nächsten Moment schläft er ein, denn er ist müde von all dem Verputzen, Spachteln und Anstreichen. Wegen der fehlenden Aussicht auf einen Umzug hat Pani Malec wieder einen Karton in den gemeinsamen Flur gestellt. Dominika hat das Schleichen und Rascheln gehört.
Wieder ein Karton: Sie stehen an der Flurwand entlang, bis zur Decke hinauf, es sind jetzt so viele, dass man durch den Flur geht wie durch einen Stollen im Schacht, es ist genauso eng und genauso dunkel. Etliche Schachteln stehen seit Jahren schon im Flur, Staub hat sich auf ihnen gesammelt, die Kanten sind abgestoßen, aus einzelnen quillt eine unkenntliche Materie, ein graues Ektoplasma, das nach Trockenpilzen und Staub riecht. In anderen scheinen sich Lebewesen eingenistet zu haben, nachts hört man ganz deutlich kleine Pfötchen scharren und kleine Zähnchen nagen, das können Mäuse, aber auch Kockrohtschen sein, vielleicht auch etwas ganz anderes, selbst Zoologen unbekannte Geschöpfe mit roten Augen und aufgeblähten Bäuchen, die im Dunkeln zwischen Vergessenem und Unbrauchbarem brüten. Die Eigentümerinnen der Schachteln, Pani Malec, Pani Stenia und Pani Hania, würden da aber anderer Meinung sein, o nein, alles in diesen Kartons brauchen sie, die Kartons selbst brauchen sie und das Wissen, dass sie bald die nächsten packen werden, sie brauchen dieses Gefühl, dass dort die Kartons voll mit Sachen stehen. Ohne Kartons könnten sie sich ja an gar nichts festhalten, und es gäbe gar keine Gründe für das Leben im Haus unter der weiß-roten Fahne, das drinnen so an die Wohnungen erinnert, die sie jenseits des Ozeans zurückgelassen haben. Deshalb halten sie, Pani Malec, Pani Stenia und Pani Hania, immer Ausschau nach weiteren Dingen, die man hamstern, besitzen und verpacken könnte, die sich hier noch einschachteln ließen. Die Kartons sind hinter- und übereinandergedrückt und gezwängt, und die in der hinteren Reihe werden gequetscht oder völlig zerquetscht, und in regelmäßigen Abständen zwängt Pani Malec, Pani Stenia oder Pani Hania im Schutz der Nacht einen weiteren mit Malec, Stenia oder Hania beschrifteten Karton in den Stapel. Sie sind beschriftet, damit es keinen Irrtum gibt, denn das wäre eine echte Tragödie, obwohl sich die Kartons der einzelnen Besitzerinnen im Inhalt kaum unterscheiden. In den Kartons sind alte Kleider, die zum Wegwerfen zu schade sind, Haushaltsgeräte, die nicht funktionieren oder zu nichts nütze sind, aber das lässt sich ja irgendwann mal reparieren, und auch das Fondue-Set, das Pani Stenia von einer ihrer Arbeitgeberinnen bekommen hat, ganz neu und in Frankreich hergestellt, wird bestimmt mal zur Geltung kommen, auch wenn Pani Stenia in den siebenundsechzig Jahren ihres Lebens nur einmal etwas gegessen hat, was nicht polnisch war, und Worte können nicht beschreiben, wie sie davon hat aufstoßen müssen. In den Kartons sind Dinge, die sie gefunden haben, Dinge aus dem Laden mit gebrauchter Kleidung, aus Sonderangebotsmärkten in New Jersey, aus diesen wunderbaren Ein-Dollar-Läden, Dinge zu solchen Preisen, dass es eine Schande gewesen wäre, sie nicht zu kaufen, denn für einen Dollar kriegt man in Amerika zwar noch nicht mal ein anständiges Brot, aber dafür zum Beispiel Weihnachtsschmuck in großer Auswahl, den man aber nach einmaligem Gebrauch nicht gut wegwerfen kann, dafür ist er dann ja auch zu schade, und nächstes Jahr kauft man dann wieder neuen, wieso auch nicht, kostet ja bloß einen Dollar, und so fällt jede Weihnachten ein neuer Karton an. Lametta, Kerzenhalter, Kugeln, Engelchen, Weihnachtsmännlein, Rentierchen, Silberketten, Goldketten, bemalte Eier, Häschen, Hühnchen, Plastikkürbisse, das alles wird verpackt und mit Schals, Handschuhen, Plüschbären, Servietten und Herzen aus rotem Velours mit der Aufschrift »I love you« ausgestopft. Im Fall von Familie Malec wird es noch komplizierter, da ihre Kinder in der amerikanischen Schule auch noch andere Feste feiern, ihnen schwirrt der Kopf von diesen Chanukkas und Ramadans, wenn sie endlich raus nach New Jersey ziehen, dann kommen die Kinder auf gute Schulen, vielleicht zu den
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