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Wolkenfern (German Edition)

Wolkenfern (German Edition)

Titel: Wolkenfern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanna Bator
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ein Sparbuch der Staatlichen Sparkasse gab, und sobald er genug für ein gebrauchtes Auto haben würde, am liebsten einen Wolga, der fraß zwar viel Sprit, war aber solide, dann würde er sich aufmachen, um die Stadt zu finden, die er nach dem Pfirsichlikör der Teetanten vor sich gesehen hatte.
    Seitdem Wacław Pająk mit seiner Geschichte von den Nixen Kamieńsk die Teetanten zurückgegeben hatte, fügte jeder, der genug Phantasie hatte, ihrer Geschichte etwas Neues hinzu. Tadeusz Kruk jedoch vergaßen die Leute so schnell, als hätte es ihn nie gegeben. Selbst wenn sich der eine oder andere an den Friseur aus der Geraden Straße erinnerte, versank er doch nach kurzer Zeit wieder im Dunkel, als hätte man ihn an den Beinen nach unten gezogen. Selbst Marianna Gwóźdź, die alles sieht und alles merkt, kratzte sich am Kopf und und fragte sich: Was war das noch, woran ich eben gedacht habe? Das Sauerkrautfass mit den hellblau ausgebrannten Überresten von Tadeusz Kruk ging an der tiefsten Stelle der Kamionka unter, dem sogenannten Mariansgraben, benannt nach dem Tischler Marian Pytka, der sich dort aus Liebe ertränkt hatte, obwohl manche sagten, ach was, von wegen Liebe, ein Bursche ertränkt sich doch nicht aus Liebe, er hatte bloß wahnsinnige Schulden bei irgendwem.

VI
    Dominika weiß, dass Eulalia Barron eingeschlafen ist und ihr nicht zuhört, aber sie liest noch eine Weile weiter aus der Odyssee vor. In den ersten Monaten ihrer Anstellung bei der alten Dame haben sie zwei, drei Bücher in der Woche gelesen, abwechselnd klassische Philosophie, Tragödien und Komödien, vier Mal die Odyssee , Medizinbücher aus der Renaissance, mit wunderbaren Stichen illustriert, auf denen menschliche Gestalten das Innere ihrer Körper entblößten, und Dramen von Shakespeare, die Erörterungen mittelalterlicher Theologen und Spukgeschichten, Psychoanalyse und ein Potpourri der Literatur des 20.   Jahrhunderts, mal was Amerikanisches, mal was Skandinavisches, und nachmittags Kostproben aus einer iberischen Saga, nichts jedoch, das nach 1939 erschienen war.
    Inzwischen liest Dominika ihr nur noch die Odyssee vor, Eulalia Barron hat nicht mehr die Absicht, ein anderes Buch anzufangen. Wie mich diese Sirenen quälen, stöhnt sie und überlegt laut, was diese Sirenen wohl von so einer gebrechlichen alten Oma wollen. Lies mir erst von den Sirenen vor, mein Mädchen, bittet sie Dominika, und danach ganz wie es sich gehört von der Stelle an, wo wir zuletzt aufgehört haben. Wo waren wir denn das letzte Mal stehengeblieben? Sie waren da stehengeblieben, wo Odysseus ins Land der Zyklopen kommt, jetzt lasen sie, wie er die Höhle des Polyphem aufsucht, sich als Niemand vorstellt und den Riesen dann besinnungslos betrunken macht. Als der Zyklop sich in Krämpfen wand, nachdem Odysseus ihm den Pfahl ins Auge gerammt hatte, war Eulalia Barron friedlich eingeschlafen und schnarchte leise. Dominika liest lächelnd weiter, ihre Stimme ist selbstsicher, die Worte fließen im Rhythmus der Meereswogen, und Eulalia hat das Gefühl, dass sie unbeschwert und leicht darauf schaukelt; dieses Bild kehrt immer öfter wieder, und bei jedem Mal zeigen sich mehr Einzelheiten, Eulalia sieht plötzlich kleine Regenbogen, die in Wasserspritzern aufleuchten, und es kommt ihr vor, als sei sie es, die das Wasser aufspritzen lässt, während sie auf die Sonne zutreibt. Ein Glücksgefühl überkommt sie, wie sie es seit Jahrzehnten nicht mehr empfunden hat, sie hört Musik und eine Stimme, die sie so stark an alle lieben Stimmen ihres Lebens erinnert, dass sie vor Rührung Schluckauf bekommt. Dominika betrachtet das Gesicht der schlafenden Greisin und liest weiter. Eulalia Barron sieht das Schiff des Odysseus mit seltsamen Passagieren an Bord, wenn sie genau hinschaut, erkennt sie die Gesichter der Gäste, die in ihrer Wohnung an der Studencka-Straße in Krakau zu Besuch kamen, sie sieht die Eltern, die auf der Flucht starben, die Tanten und Onkel, die Vettern und Cousinen, die in Auschwitz in Flammen aufgingen, sie alle winken ihr zu. Wer ist sie in dieser Vision? Eulalia Barron ist sich nicht sicher, doch sie fühlt sich jung und stark und möchte singen, es gefällt ihr dort, und die Versuchung, nicht in die Wirklichkeit zurückzukehren, ist groß. Langsam, langsam, Großmütterchen, sagt sie zu sich selbst, wenn sie aus dem Schlaf emportaucht wie aus tiefem Wasser. Hast ist ihr in der letzten Zeit nicht gut bekommen, sie hat sich eine Hüfte gebrochen und

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