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Wolkengaukler

Wolkengaukler

Titel: Wolkengaukler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anett Leunig
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hätte ich es denn mit ihm absprechen sollen? Er war doch nie da gewesen, um mit mir zu reden! Verdammt, wieso entglitt mir das jetzt alles?! Mit dem Mut der Verzweiflung begehrte ich ein letztes Mal auf:
    „Enttäuscht? Warum? Womit? Weil ich deinen Ansprüchen nicht genüge? Weil ich für dich kein richtiger Mann bin? Oder bist du eher von dir enttäuscht? Weil du es nicht geschafft hast, dir selbst ein Denkmal zu setzen? Dich in mir nicht verewigen kannst? Oder weil du nicht an mich glaubst? Aber dann wäre ich auch von dir ganz schön enttäuscht!“
    Der letzte Satz ließ ihn zusammenzucken, als hätte ich ihm meinen Degen in den Rücken gestoßen. Im nächsten Moment tat es mir leid, dass ich so ausgerastet war. Aber ich war so außer mir gewesen, dass ich für einen Moment die Relationen zwischen richtig und falsch, gut und böse, Sinn und Unsinn verloren hatte.
    Er wandte sich zu mir um und sah mich schweigend an, reglos, fast wie gelähmt. Zwischen uns schien die Luft zu brennen, und das nicht wegen der sommerlichen Hitze. Dann erklärte er leise und absolut beherrscht: „Die Diskussion ist beendet.“
    Ich fühlte mich, als hätte er mir einen Eimer eiskalten Wassers über den Kopf gegossen. Das war die Barriere, über die ich nicht mehr drüber kam. Jeder weitere Versuch, das war mir sofort klar, war sinnlos, gerade so, als würde ich mit der Wand sprechen, die er mit diesen vier Worten zwischen uns hochgezogen hatte.
    Das Telefon klingelte.
    Sein Blick ruhte noch einen Moment lang auf mir, kalt und abweisend. Dann wandte er sich dem Telefon zu und nahm ab: „Kiebel? Ja, einen Moment, ich lege das Gespräch in mein Arbeitszimmer.“ Kurz, prägnant, geschäftsmäßig. Wahr-scheinlich einer seiner Kunden. Mein Fall war erst einmal ad acta gelegt.
    Ich rührte mich noch immer nicht, beobachtete ihn, wie er den Apparat bediente, auflegte, zur Tür ging. Er drehte sich nicht noch einmal um. Mit einem leisen Klicken fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.
    Im nächsten Moment verließen mich meine ohnehin nur noch spärlichen Kräfte. Mir war, als müsste ich auf der Stelle in mich zusammensinken. Sofort spürte ich Christoph hinter mir, und dieses Mal fing er mich tatsächlich auf, umschlang meinen Körper von hinten und hielt mich fest, bis meine zitternden Beine wieder bereit waren, mich selbstständig zu tragen. Während ich, gegen ihn gelehnt, mit geschlossenen Augen tief durchatmete, spürte ich sein Herz gegen meine Rippen schlagen, nein, regelrecht wummern wie der Bass aus einer überlaut gedrehten Stereoanlage. Auch er war fürchterlich aufgeregt, und ich fragte mich, wie er sich nur hatte beherrschen und so ruhig hinter mir bleiben können. Jedes Eingreifen seinerseits wäre allerdings ein fataler Fehler gewesen, denn wie er vor einem Jahr selbst gesagt hatte: es war mein Kampf, den ich selbst ausfechten musste, mit ihm im Rücken, und nicht als Schild vor mir.
    Schließlich drückte er mir sanft einen Kuss auf die Ohrmuschel: „Komm, lass uns gehen. Ich muss hier raus.“
    „Wo willst du denn hin?“ Ich wollte mich noch nicht aus seiner schützenden Umarmung lösen.
    „Ich weiß nicht, in die City oder so. Nur erst einmal hier raus.“
    „Okay.“ Ich stemmte mich hoch und ging mit noch immer zitternden Knien nach meiner Mutter suchen. Ich war noch nicht volljährig, musste mich noch immer abmelden und um Erlaubnis fragen, wenn ich irgendwohin wollte. Wie ich das in diesem Moment hasste!
    Meine Mutter stand in der Küche am Fenster. Sie schaute hinaus in den Garten, so konzentriert, als würde sie die Blumen in ihrer Rabatte zählen. Aber ich bezweifelte, dass sie sich wirklich gerade an der Blütenpracht ihres Gartens erfreute. Sie hatte das ganze Gespräch mit angehört.
    „Mama, ich möchte mit Christoph in die Stadt fahren.“
    Sie sah mich an, als käme ich gerade vom Mond. Oder sie. Sie schien gerade zu verarbeiten, was sie da eben gehört hatte. Es war eine schwere Arbeit für sie, das sah ich ihr an. Sollte ich jetzt lieber bei ihr bleiben? War es richtig, sie damit allein zu lassen? Ich zögerte. Der Zwiespalt riss an meiner Seele, ich fürchtete die Entscheidung zwischen meinen Eltern und meiner Liebe. Aber dann traf ich sie aus dem Bauch heraus, mehr ein Gefühl als kühles Kalkül: ich musste zu Christoph, er brauchte mich jetzt dringender – und ich ihn. Mama musste die Sache mit Papa und sich selbst erst einmal allein ausmachen. Endlich schien Leben in sie zu kommen, sie blickte

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