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Wolkengaukler

Wolkengaukler

Titel: Wolkengaukler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anett Leunig
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zur Küchenuhr, dann nickte sie langsam. „Ist gut, Jann. Um zehn bist du bitte spätestens wieder da. Und nimm dein Handy mit, ja?“ Immer diese verdammte Gängelei! Aber für Mama tat ich es.
    Christoph startete draußen schon den Wagen. Ich griff nach Handy und Portemonnaie und lief hinaus. Im Wagen war es heiß wie in der Hölle. Da half es auch nichts, dass Christoph sofort die Scheiben herunter ließ und die Klimaanlage aufdrehte. Was sowieso Unsinn war, wie mir im nächsten Moment einfiel, aber ich sagte nichts dazu.
    Er setzte zurück, lenkte auf die Straße und gab Gas. Die Reifen drehten durch; ich wurde in den Sitz gepresst. Er hatte noch nie so einen Kavalierstart hingelegt! Wollte er mir jetzt beweisen, dass sein Wagen hundertdreißig PS unter der Haube hatte? Das glaubte ich ihm auch so! War es wirklich eine gute Idee gewesen, ihn in diesem Zustand hinter das Steuer zu lassen?
    Auf der Landstraße zwischen unserem Ort und der Autobahn nach Braunschweig gab er Vollgas. Er fuhr viel zu schnell und schnitt die Kurven. So einen unvorsichtigen Fahrstil kannte ich von ihm gar nicht! Es war beinahe schon unverantwortlich. Mir wurde mulmig. Seine Augen waren hinter den dunklen Sonnenbrillengläsern verborgen, so dass ich nicht hineinblicken konnte. Was hätte ich darin gesehen? Wut? Hass? Verzweiflung? Enttäuschung? Vielleicht war es besser, dass ich es nicht wusste. Nach einer Weile bat ich leise: „Christoph, halte bitte an.“
    „Ich kann nicht mitten auf der Landstraße anhalten, das wirst du doch wohl wissen!“ Na wunderbar, jetzt ging er auch noch mich an! Ich versuchte, meine aufkommende Panik zu unterdrücken.
    „Doch, da vorne kommt eine Haltebucht, da kannst du ...“ Die Nothaltebucht rauschte an uns vorbei. Christoph starrte weiterhin ungerührt auf die Straße, aber ich hatte das ungute Gefühl, dass er das flimmernde Asphaltband vor uns überhaupt nicht wahrnahm – und auch nicht den Gegenverkehr, der auf uns zukam! Was, wenn uns etwas passierte! Was, wenn er ...
    „Verdammt! Christoph, halte an, ICH HABE ANGST!!!“ Es war mehr ein Schrei als eine Aufforderung, tief aus meinem Inneren.
    Als würde er aus einer Art Trance erwachen, zuckte er heftig zusammen, warf einen Blick in mein vor Panik leichenblasses Gesicht, dann zurück auf die Fahrbahn, und legte endlich beide Hände ans Steuer. Ich spürte, wie sich der Wagen verlangsamte – zumindest hatte er den Fuß vom Gaspedal genommen. Der Gegenverkehr rauschte an uns vorbei.
     Ich atmete geräuschvoll aus.
    Bei der nächsten Möglichkeit bog Christoph in einen Feldweg ein. Als wir standen, schloss ich für zwei Sekunden die Augen, dann schnallte ich mich wortlos ab, öffnete die Tür und verließ fluchtartig meinen Platz.
    Es tat gut, den Sommerwind im Gesicht zu spüren, den heißen Duft des Getreidefeldes zu riechen und das Jubeln der Lerche über mir zu hören. Noch vor zwei Minuten hatte ich kurzzeitig mit meinem Leben abgeschlossen.
    Nach ein paar Minuten spürte ich seine Hand auf meiner Schulter. Christoph stand neben mir, das Gesicht ebenfalls in die Sonne gereckt. Sein Haar klebte ihm schweißnass im Nacken, er atmete flach, der Druck seiner Finger lag schwer auf mir.
    „Es tut mir leid, Süßer. Das war nicht gut.“ Eine einfache Entschuldigung, aber ich wusste, dass er sich am liebsten selbst dafür ausgepeitscht hätte, dass er mich so in Gefahr gebracht hatte.
    Ich legte eine Hand auf seine noch immer zitternden Finger. „Nein, das war es nicht. Aber es geht schon wieder. Ich muss zusehen, dass ich bald den Führerschein kriege, und dann fahre in solchen Situationen ich , klar?!“
    Er nahm seine Sonnenbrille ab und sah mich eine Weile stumm an. Dann schüttelte er langsam den Kopf und flüsterte: „Du bist so unglaublich erwachsen geworden in den letzten Monaten. Du kannst mich festhalten, obwohl du selbst gerade schwankst. Du bist der einzig richtige Mann für mich, und glaub mir, du bist ein Mann!“
    Damit umfasste er mein Gesicht mit beiden Händen, küsste mich wild und leidenschaftlich, drängte seinen Körper haltsuchend an meinen. Ich umfasste ihn, legte meine Hände auf seine Schulterblätter, spürte die Muskeln unter seinem dünnen T-Shirt arbeiten.
    Wir mussten es jetzt tun, hier, auf der Stelle, mitten im Kornfeld. Der alte Gassenhauer fiel mir ein, und ich fand es originell, ihn hier mit Christoph mal ganz anders wahr werden zu lassen. Jeder von uns hatte ein Kondom bei sich, immer, wenn wir zusammen

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