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Wolkengaukler

Wolkengaukler

Titel: Wolkengaukler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anett Leunig
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damit?“
    „Das, was ich gesagt habe“, antwortete ich, um einen ruhigen und souveränen Tonfall bemüht. Ich versuchte mir vorzustellen, wie Christoph jetzt sprechen würde, um die angespannte Situation nicht aus dem Ruder gleiten zu lassen: langsam, eine Tonlage tiefer als sonst, mit gut gewählten Worten und festem Blick. Aber schlug ihm dabei auch immer das Herz bis zum Hals, zitterten ihm die Knie und wollten auch bei ihm immer alle Wörter gleichzeitig oder gar nicht herauskommen, so dass sein Mund nicht zu wissen schien, welche Laute er formen sollte?
    Darüber nachzudenken reichte jetzt die Zeit nicht. Mein Kopf war voll von all den Dingen, die ich meinem Vater sagen wollte, und gleichzeitig so leer wie ein ausgeblasenes Osterei. Schließlich gab ich mir einen Ruck und sprach weiter:
    „Ich möchte das nicht studieren, weil es mich nicht interessiert. Mathematik liegt mir nicht, Zahlen und Statistiken, Diagramme, davon habe ich einfach keinen Plan. Ich möchte – “
    Noch während ich sprach, verengten sich die Augen meines Vaters zu zwei Schlitzen, seine Lippen pressten sich zusammen, er neigte  sich mir zu. Mir war sofort klar, dass das keine Geste des Vertrauens oder Interesses war, sondern eine Drohung. Und mit einem Mal schien in ihm etwas zu explodieren, von dem ich keine Ahnung gehabt hatte, dass es in ihm bereits kochte. Er ließ mich nicht ausreden, sondern fuhr kalt und aufbrausend wie ein Wintersturm dazwischen:
    „Ach, keinen Plan?! Wovon hast du denn sonst einen Plan? Jeden Tag stundenlang zu telefonieren, am PC herumzuhängen, alle paar Wochen nach München zu fahren?! Glaubst du, ich weiß nicht, was da zwischen dir und deinem Cousin läuft? Ich bin doch nicht blind!“ – OH MEIN GOTT!
    Mir sackte kurz der Verstand weg. Er wusste Bescheid! Über Christoph und mich! Wie lange schon? Was genau? Jetzt richtete sich Christoph hinter mir auf. Wollte er angreifen? Sich verteidigen? Uns? Sag jetzt bloß nichts! Auch ich blieb stumm und reglos stehen. Ich hatte das Gefühl, dass mein Vater jetzt erst einmal alles loswerden musste, was er sagen wollte. Eine Unterbrechung wäre tödlich gewesen, für das Gespräch genauso wie für eventuelle Zukunftsperspektiven. Er sprach weiter, in einem harten, unerbittlichen Tonfall:
    „Ist das deine Art, dich zu revanchieren, uns für das zu danken, was wir dir aufgebaut haben? Im letzten Jahr bringst du mir ein Zeugnis mit ‚versetzungsgefährdet‘. Ich lasse dir die Sommerferien, aber anstatt diese Chance und die Zeit zu nutzen, um etwas Sinnvolles aus deinem Leben zu machen, lässt du dich verführen! Noch dazu von deinem Cousin! Herrgott, wir sind doch hier nicht in irgend so einem Pamela-Roman! Das Leben ist hart. Da ist kein Platz für solche Phantastereien!“ Er atmete tief durch und fuhr in einer etwas ruhigeren, aber eindringlichen Tonlage fort:
    „Ich habe versucht, dir eine solide Grundlage zu schaffen, ich habe hart gearbeitet, damit du es später einfacher hast. Ich habe mich selbstständig gemacht, mit viel Mühe und Entbehrungen meine Apotheke aufgebaut. Ein richtiges, kleines Unternehmen. Für uns. Für dich. Du solltest es einmal übernehmen und weiterführen, dein eigener Herr sein. Das war dir doch klar, oder? Ich habe dir eine Menge Freiheiten gelassen und Zeit gegeben, um dich darauf vorzubereiten. Ich habe alles gegeben, alles möglich gemacht für dich. Ich habe dir deine Zukunft aufgebaut. Und du wirfst sie einfach hin?!“
    „Aber du drängst mich in eine Richtung, in die ich nicht kann. Nicht will! Du hast meinen Weg schon im Voraus abgesteckt, ohne mich zu fragen. Denkst du, ich habe keine eigenen Vorstellungen? Du hast mich jedenfalls nie danach gefragt. Du hast nie mit mir geredet, über gar nichts! Du weißt doch überhaupt nicht, wer ich bin!“
    Für einen Moment stockte ich, war selbst erschrocken über meinen heftigen Ausbruch. In Vaters Blick las ich Ablehnung, Zweifel – und noch immer dieses Lauern. Ich versuchte, mich wieder zu sammeln. Okay, weiter jetzt:
    „Ich will selbst entscheiden, was ich aus meinem Leben mache, wo es langgehen soll und wie schnell. Und dass ich das kann, habe ich dir mit meinem Zeugnis bewiesen, denke ich. Ja, ich habe andere Kurse belegt: nämlich die, die mir liegen, worin ich gut bin. Woran ich Spaß habe und bereit bin, mich reinzuknien. Mit Erfolg, wie du gesehen hast. Die Noten sind viel besser als letztes Jahr, und insofern habe ich meinen Teil unserer Abmachung eingehalten.“

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