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Wolkentaenzerin

Wolkentaenzerin

Titel: Wolkentaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nichole Bernier
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Tagebuch aus ihrer Umhängetasche. Als sie am Morgen noch ein letztes Mal durch den Bungalow gegangen war, hatte das mit dem Foto beklebte Buch noch auf der Fensterbank in der Dachkammer gestanden, fast vergessen. Sie hatte kurz überlegt, es zu behalten und mit nach Hause zu nehmen. Wann immer sie ihre obere Schublade öffnete, würde es dort liegen, neben dem Brief der Frau, die Kate in ihrer Fernsehsendung kritisierte: Elizabeth, die in die Sonne lächelte, überbelichtet und unterschätzt.
    Chris sah sie abwartend an. Kate öffnete den Deckel und legte das Tagebuch zu den anderen in die Truhe. Dann hob Chris die Truhe aus dem Kofferraum.
    »Danke«, sagte sie.
    »Wofür?«
    »Dass du mit den Kindern nach Hause fährst und mich das hier abschließen lässt.«
    Er stand mit der Truhe in den Händen vor ihr und musste sich ein wenig zurücklehnen, um das Gewicht auszugleichen.
    »Dann mach das auch«, sagte er und ging an ihr vorbei zum Haus.
    Als sie sich durchs Autofenster lehnte, um sich von den Kindern zu verabschieden, sah sie, wie Chris die Haustür öffnete und die Truhe im Flur absetzte. Er stellte sie auf den Boden vor die hohen Fenster neben der Tür, und durch die schmalen vertikalen Scheiben sah sie, wie er davor hocken blieb. Er hielt den Kopf gesenkt, und nach einem Augenblick legte er eine Hand auf die Truhe wie ein Trauernder bei einer Totenwache. Dann erhob er sich wieder. Etwas in ihrer Brust zog sich zusammen, als sie ihn so sah, und sie musste sich abwenden, um wieder Luft zu bekommen.
    Sie hörte, wie sich die Haustür öffnete und schloss. Chris ging langsam die Stufen herunter und auf Dave zu. Sie klopften einander nicht auf den Rücken, sagten nicht »bis bald« wie sonst so üblich unter den Ehemännern der Spielgruppe. Sie sprachen nur ein paar Worte und wünschten sich vage noch einen schönen Sommer. Chris sah weg, und Kate konnte sowohl Mitgefühl wie auch Unmut in ihm erkennen.
    Vielleicht gab es kein Wiedersehen. Vielleicht ging es so zu Ende; zwei Familien, die ihre eigenen Wege gingen. Und vielleicht hatte Elizabeth das vorhergesehen, als sie die Tagebücher Kate überließ, dass sie eine Leserin auswählte, die empathisch war und der Familie nahestand, die aber auch aus Daves Leben verschwinden konnte, ungeachtet dessen, was sie mit den Büchern machte. Vielleicht hatte Elizabeth sogar die möglichen Spannungen geahnt – zwischen Kate und Dave, zwischen Kate und Chris – und hatte entschieden, dass es niemandem schaden würde, zu erleben, wie es sich anfühlte, missverstanden zu werden, eine kleine Dosis des Alleinseins.
    Vielleicht war es aber auch viel einfacher. Vielleicht hatte Elizabeth nach ihrer Diagnose einfach die Gewissheit gebraucht, dass ihre Tagebücher gut aufgehoben waren. Oder noch einfacher: Sie hatte niemanden gehabt außer Kate.
    Chris stand vor Kate und spielte mit dem Schlüssel in der Hand. »Ruf mich an, wenn du weißt, welchen Zug du nimmst.« Er sah sie direkt an, was er seit dem Abendessen kaum getan hatte.
    Kate hatte versucht, sich mechanisch durch das vergangene Jahr zu schlagen, sie wollte so zäh wie möglich sein. Im Rückblick jedoch hatte ihre Methode nicht gut funktioniert. Es war nicht irreparabel, doch sie brauchte Zeit, und sie musste sich mehr Verletzlichkeit eingestehen, als ihr lieb war. Sie müsste sich offenbaren, ihre Ängste vor Gefahren und vor Verlust offenlegen und ihre Verzweiflung darüber, kein Vertrauen in die Zukunft zu haben. Chris bekäme einen bedürftigeren Menschen zu sehen als den, den er geheiratet hatte. Dann würde sie erkennen, wie weit seine Hingabe für eine Partnerin reichte, die in seinen Augen alles komplizierter machte als nötig. Er würde das Gefühl haben, sie mit Samthandschuhen anfassen zu müssen.
    Ihr wurde übel, als hätte sie etwas Verdorbenes gegessen. Doch sie hatte keine andere Wahl. Elizabeth hatte sich geirrt: Geheimnisse boten keinen Schutz. Damit ging es einem nur schlechter.
    »Danke noch mal«, sagte sie. »Für deine Unterstützung.« Ob das nun stimmte oder nicht, sie hatte das Gefühl, es sagen zu müssen.
    Chris schüttelte den Kopf, eine kleine ungläubige Geste, die besagte, dass er ihr nicht glaubte. Er setzte sich ins Auto. Die Kinder reckten die Hälse nach hinten und winkten ihr zu, aber Chris sah sich nicht noch einmal um.
    Während Kate zusah, wie sie wegfuhren, kam ihr in den Sinn, dass sich ihre ganze Welt gerade von ihr entfernte, das Beste, was sie hatte. In einer

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