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Wolkentaenzerin

Wolkentaenzerin

Titel: Wolkentaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nichole Bernier
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Apotheke zu schicken. Dave war ebenfalls unterwegs, und Elizabeth blieb bis spät in die Nacht mit ihren Kindern bei Kate, bis das Fieber schließlich sank und Kate in der Lage war, sich selbst um ihre Kinder zu kümmern. Elizabeths Sachkunde und Mitgefühl waren mit nichts zu vergleichen, was Kate bisher erlebt hatte. Sie war eine Mischung aus Krankenschwester und perfekter Angehöriger, jemand, der versteht, dass Krankenpflege vor allem ein Umsorgen ist und es um viel mehr geht als nur darum, die Krankheit zu überlisten.

    Der Mond hing als schmaler Streifen über der Bucht, die sich wie eine weite gesprenkelte Sandebene vor dem Fenster ausbreitete. Unten im Badezimmer lief das Wasser, als Chris sich vorm Zubettgehen die Zähne putzte.
    Kate konnte sich ohne weiteres vorstellen, wie Elizabeth sich um ihre Mutter kümmerte, jedoch nicht, wie es war, keine Hoffnung dabei zu haben. Sie hatte nie jemandem nahegestanden, der ernsthaft krank war. Sie musste noch nie dem Verfall zusehen, wissend, dass all die Pflege – vom sorgsamen Verabreichen der Medikamente bis hin zum Austeilen von Brühe – nie zu einer Genesung führen würde, nur der Vorbereitung und der Linderung diente und bisweilen nicht einmal dem. Kates unmittelbarste Erfahrung mit dem Tod war Elizabeth gewesen, und dafür hatte es weder eine Vorbereitung noch Linderung gegeben.
    Wie traurig, dachte Kate, dass Elizabeths Mutter krank wurde, bevor Elizabeth heiratete und von ihrem Mann unterstützt wurde. Oder überhaupt von jemandem Unterstützung bekam. Nach ihrer Rückkehr aus Florenz hatte Elizabeth nie ausdrücklich über Einsamkeit geschrieben, doch auf jeder Seite war sie zu spüren.
    Dave war der Typ Mensch, der wahrscheinlich gut mit Krankheit umgehen konnte. Für Kates Geschmack hatte sein Süßholzraspeln zu wenig Substanz, und der Südstaatlerakzent mit seinen offenen und gedehnten Vokalen wirkte wie glücklich in der Sonne krabbelnde Baumwollkapselkäfer. Allerdings hatte solch ein Charme möglicherweise eine lindernde Wirkung und machte unangenehme Augenblicke erträglich. Vielleicht gab es einen passenden Zeitpunkt für Plattitüden, wenn Wahrheit nicht trösten konnte.
    Kate nahm das nächste Tagebuch vom Stapel, ein mit Pastellkreide bemaltes Buch. Das darunterliegende war mit dem vergrößerten und laminierten Foto von Elizabeth, Jonah und Anna beklebt, das Kate schon in der Nacht auf dem Parkplatz vor dem Motel gesehen hatte. Die Kinder lachten, als würde sie gerade jemand kitzeln, Anna presste das Kinn fest auf die Brust, ein Kleinkindgrinsen im Gesicht, Jonah warf in freudiger Verzückung den Kopf zurück. Elizabeth lächelte, und ihr Blick war auf die dunklen Locken ihres Sohnes gerichtet. Ihre blonden Haare fielen den Kindern ins Gesicht und fingen das Licht ein wie bei einem Rauschgoldengel. Das Foto war grellweiß überbelichtet, und man konnte keinen Hintergrund erkennen. Nur Haare, Augen und Lachen und Elizabeth, die dort im sengenden Sonnenlicht halb verschwand. Es sah aus wie der Ort, an den sie an dem Tag im August aufgefahren war, wenn man an so etwas glaubte.
    Kate wollte das Buch zurück in die Truhe legen, doch sie konnte es nicht. Also stellte sie es auf das Bücherbord unter dem Fenster ihrem Sitzplatz gegenüber. Sie setzte sich und betrachtete es einige Augenblicke, ein Bild, das sie sich einprägen wollte. Dann klappte sie die Truhe zu und verschloss sie für die Nacht.
    Nur noch einen Eintrag, sagte sie sich, und Kreide vom gestreiften Buchdeckel überzog ihre Hand.
25. September 1985
Es geht ihr noch schlechter. Sie kann nicht mehr lesen. Ihre Sehkraft lässt nach, und sie schläft nach einer halben Seite ein, also lese ich ihr vor. Sie mochte Reisemagazine immer gern, da habe ich ihr eins gekauft mit einer Titelgeschichte über Sedona.
Als ich fertig war, sagte sie: »Die Wüste ist ein sehr spiritueller Ort, Anna«. Sie nennt mich jetzt Anna. Es macht sie glücklich, deswegen korrigiere ich sie nicht. »Wusstest du«, fragte sie, »dass manche Leute glauben, man kann die Kakteen summen hören, wenn man still genug ist?« Mit ihren Fingern wie Strohhalme berührte sie das Foto eines Saguarokaktus. Ich nahm die Handcreme vom Rollwagen, drückte mir einen Klecks auf die Handfläche und massierte die Creme in ihre knochigen Fingerknöchel bis zu den Fingerspitzen ein. Sie sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an oder mit dem, was von ihnen übrig ist, und dann wieder auf die Zeitschrift. »Ich habe mich immer

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