Wolkentaenzerin
blickte auf. Ein kleines Flugzeug flog tief über den Hafen und war so nah, dass sie die Nummer an der Seite und das Profil des Piloten erkennen konnte. Flugzeuge waren doch sonst nicht so tief und so laut. Es hielt direkt auf den Glockenturm auf der anderen Straßenseite zu. Das hämmernde Jaulen des Propellers ging Kate durch Mark und Bein. Sie legte beide Hände über den Kopf und ließ ihre Handtasche fallen.
Die Passanten auf dem Bürgersteig gingen weiter, als wäre nichts geschehen, und sahen kaum zum Himmel. Jemand fragte sie, ob alles in Ordnung sei, und ein anderer half ihr, Handy, Portemonnaie und Schlüssel einzusammeln, die auf dem Asphalt verstreut lagen.
Sie murmelte ein Dankeschön und sah dem Flugzeug hinterher, das nun zur Landebahn im Zentrum der Insel flog. Es wurde immer kleiner, bis sein verklingendes Dröhnen sich schließlich nicht mehr von dem Schiffshorn einer ankommenden Fähre unterschied.
Die Haustür war unverschlossen, und drinnen herrschte Stille. Ein Zettel lag auf dem Tresen: Sind zur Pizzeria, Manicotti holen. Bis gleich .
Kate betrachtete die im Wohnzimmer verstreuten Sachen, die ihre Familie hinterlassen hatte. Aufgeschlagene Bücher, eine Menagerie von Plastiktieren. Ein Haufen Legosteine. Chris’ aufgeklappter Laptop, Akku fast leer. Sie hatte die Stille eines leeren Hauses immer gemocht, doch jetzt beunruhigte es sie. Genau so würde das Zimmer aussehen, wenn seine Bewohner plötzlich weg wären, das fossile Überbleibsel einer Familie.
Sie nahm ein Bier aus dem Kühlschrank und ging mit Elizabeths Tagebuch auf die Veranda. Die Sonne stand tief über der Bucht. Am Himmel bewegte sich die glatte schwarze Silhouette eines Flugzeugs durch die Wolken wie ein Pappmodell in einem Diorama.
15. September 1992
Dave war eine gemäßigte Version seines Golfturnier-Ichs, als wir essen waren, nicht zu herzlich oder übertrieben vertraut. Ich hatte auch befürchtet, dass das schnell langweilig würde. Hat mich im Restaurant mit einer leichten Berührung am Rücken begrüßt und zum Tisch geführt, ganz höflich. Sehr traditionell.
Was mir aufgefallen ist: Die Sommersprossen um seine Nase herum und auf den Wangen lassen ihn wie einen zu groß geratenen Sechsjährigen aussehen. Markanter Kiefer und Kinn, breite Schultern und muskulöser Oberkörper. Seine Haare waren kürzer, aber immer noch ziemlich wild. Er hat wirklich tolle dunkle und dichte Haare. Direkt nachdem wir uns hingesetzt hatten und unsere Servietten nahmen, hat er breit gelächelt und sich für mein Kommen bedankt. Sein Lächeln reicht bis zu den Augen, so warme braune Augen habe ich noch nie gesehen. Mir schnürte sich ein bisschen die Kehle zu. Sei nett, Elizabeth, ermahnte ich mich. Lächle mehr.
Ich habe ihn nach Golf ausgefragt, über die Tour, wie oft er spielt und was er sein Zuhause nennt (eine Wohnung außerhalb von New York City, auch wenn er so selten dort ist, dass letztendlich ein Nachbar Mitbesitzer seines Hundes ist). Nachdem er seinen Abschluss an der Georgia Tech gemacht hat, hat er in Läden für Profis gearbeitet und bei ein paar kleineren Touren mitgespielt, bis er seine Tour-Karte bekam. Er hat jahrelang herumgescharrt – das war sein Ausdruck –, um sich zu qualifizieren. Ich hatte ihn als Sprücheklopfer und aufgekratzt in Erinnerung, aber wenn man allein mit ihm ist, ist er ernster. Er wählt seine Worte, als wäre jedes von großer Bedeutung und als wäre es sehr wichtig, dass er genau das sagt, was er meint.
Er hat sich nach meiner Familie erkundigt: Ich hab’s simpel gehalten: Vermont, Connecticut, geschieden, verstorben. Als ich Krebs erwähnte, hat in seinen Augen etwas dichtgemacht. Ja, da habe ich auch die eine oder andere Erfahrung gemacht, hat er gesagt. Seine Schwester, letztes Jahr. Wir waren beide eine Weile lang still, und gerade als ich mir den Kopf über ein neues Thema zermarterte, sagte er: »So etwas sollte ein Körper einfach nicht durchmachen müssen, und niemand sollte so etwas mit ansehen müssen.« Keiner von uns wollte noch mehr dazu sagen, also haben wir es gelassen.
Nach dem Essen sind wir gemeinsam mit dem Taxi zu meinem Haus gefahren, aber bevor ich ihn fragen konnte, ob er noch mit raufkommen will, gab er mir einen sanften Kuss auf die Wange und spazierte davon. Ich habe ihm nachgesehen, wie er mit schaukelndem Gang zur Straßenecke ging, eine Art Wippen auf den Fußballen, so massiv und schwer wie ein Zugpferd, aber auch so leichtfüßig wie eins, das rundum
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