Wolkentöchter
heirateten. Frauen haben ein schweres Leben. Keine Dynastie und keine Regierung weiß sie zu schätzen. Wie auch immer, genug davon! Heben Sie dieses blauweiße Tuch auf …«
Ich nickte stumm. Während ich der Reparaturfrau zusah, wie sie mit den Fingern überprüfte, ob das Felgenband richtig saß, war mir, als würde ich viele kleine rosa Säuglinge sehen, die »aus dem Weg geschafft« wurden. Mir war schwindelig, und ich fühlte mich todtraurig: wegen der Mütter, die ihre Töchter niemals in die Arme schließen konnten, wegen der neugeborenen Mädchen, die nie erfahren würden, wer ihre Mütter waren, oder die nicht mal Zeit gehabt hatten, die Welt mit offenen Augen zu sehen.
»Haben Sie eine Tochter?«, fragte ich nach langem Schweigen.
»Ich hab sie alle weggegeben.«
»Haben Sie Sehnsucht nach ihnen?«
»Natürlich hab ich Sehnsucht nach ihnen!« Sie starrte mich aufgebracht an. Von dieser Seite hatte ich die Reparaturfrau noch nie erlebt.
Am nächsten Tag erzählten mir meine Kollegen, dass die Reparaturfrau ihren Stand nicht aufgemacht habe, und auch eine Woche später war sie noch nicht wieder zurück. Sie war fort und hatte die Erinnerungen mitgenommen, die nicht verblassen wollten. Ich hatte alte Wunden aufgerissen, und ich hatte das Gefühl, dass sie mich nicht wiedersehen wollte.
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4
Von der Tellerwäscherin, die zweimal versuchte, sich das Leben zu nehmen
Das ist keine Geschichte in einem Buch, das ist eine schwere Verantwortung … Diesmal muss sie gehen, ich höre jetzt auf, eine gute Frau zu sein.
W arum? Warum versuchst du immer wieder, dich davonzustehlen? Hatten wir nicht besprochen, dass du über deine Probleme reden würdest, damit wir alle dir helfen können, sie zu lösen?«
Kumei war zu sich gekommen. (
Ku
= Leiden oder Not und
mei
= kleine Schwester, junge Frau, also arme kleine Schwester, deutet darauf hin, dass sie selbst leidet und auch Unglück bringt. Aber es ist eher ein Spitzname als ein richtiger Name. Sie hat ihren ursprünglichen Vor- und Nachnamen verloren, weil ihre Eltern sie verkauft haben.) Sie starrte blicklos vor sich hin, die Augen schmerzerfüllt, aber mein Zorn hatte so lange in mir gebrodelt, dass ich meine vorwurfsvollen Worte nicht zurückhalten konnte.
Es war das zweite Mal, dass sie im Krankenhaus gelandet war, nachdem sie vergeblich versucht hatte, sich das Leben zu nehmen.
Kumei war Tellerwäscherin im Tiny Home Chef, einem kleinen Familienlokal mit vier Tischen, an denen jeweils zwei Personen Platz fanden. Es lag zwei Straßen von dem zweiten Radiosender entfernt, bei dem ich inzwischen in Nanjing arbeitete. Der Ehemann kochte, die Frau erledigte die Einkäufe, bediente die Kunden und kassierte. Kumei bereitete das Gemüse vor, spülte und fegte und putzte. Der Speiseraum nahm den vorderen Teil des Hauses ein, wo vermutlich früher das Wohnzimmer des Ehepaars gewesen war. Von ihm führte ein schmaler dunkler Gang in den rückwärtigen Teil des Hauses, der mit Vorräten vollgestellt war. Die sogenannte Küche, bestehend aus drei Blechplatten, befand sich im Hinterhof. Noch ein Jahrzehnt zuvor hätte ein einziger Blick in die Küche eines solchen Familienlokals dafür gesorgt, dass man nie wieder einen Bissen des dort angebotenen Essens hinuntergebracht hätte, trotz der köstlichen Düfte und des verlockenden Brutzelns. Aber das Tiny Home Chef war sauber und ordentlich. Gut organisiert, wie es war, konnte man, selbst wenn hektisch gekocht wurde und Rauch und Flammen vom Herd aufstiegen, einen Moment in der Küche verweilen und mit dem Koch oder seiner Frau ein paar Worte wechseln, ohne von den Gerüchen überwältigt zu werden oder im Weg zu stehen.
Minguang, die Ehefrau, war in dieser Branche des Dienstleistungssektors eine Ausnahmeerscheinung – eine Frau, die antiquarische Bücher sammelte. Sie schrieb öfter Buchrezensionen für meine Sendungen, daher sahen wir uns regelmäßig, nachdem sie und ihr Mann das kleine Lokal in der Nähe meiner Arbeitsstelle aufgemacht hatten. In der Mittagspause flüchtete ich mich gerne dorthin, um aus meinem geschäftigen, lauten Büro wegzukommen, und bestellte mir eine Portion gebratene Schweinenierchen mit Sojasprossen oder kurz angebratene Kutteln in Sojasoße, dazu Gemüse der Saison aus der Pfanne und eine Schüssel Reis. Das Ganze war köstlich und kostete bloß zwei oder drei Yuan, was ein ausgezeichnetes Preis-Leistungs-Verhältnis war.
Während ich auf mein Essen wartete, las ich
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