Wolkentöchter
schlecht ausgebildet und fast noch nie mit Ausländern in Kontakt gekommen. Die Verlagerung von Adoptionszentren aus dem Osten in den Westen Chinas gestaltete sich also deshalb so schleppend, weil das erforderliche Personal erst noch durch Weiterbildungsmaßnahmen in die Lage versetzt werden musste, Auslandsadoptionen abzuwickeln.
Es gab noch einen dritten Grund: In regionalen Zeitungen wurde immer behauptet, adoptierte chinesische Kinder würden von Adoptivfamilien im Westen misshandelt, sexuell missbraucht und für Kinderarbeit eingesetzt. Die öffentliche Meinung in China hatte sich gegen den Westen gewendet, und die Adoptionspolitik der Regierung stieß zunehmend auf Ablehnung. Im Zuge dessen setzte sich ein Klima der Angst durch: Waisenhäuser stellten die Zusammenarbeit mit ausländischen Adoptionsvermittlungen ein, und manche nahmen keine Gelder aus dem Ausland mehr an. Sie wollten weder für das Vergehen »unerlaubter Beziehungen zu Ausländern« bestraft noch mit irgendwelchen negativen Berichten in Zusammenhang gebracht werden, die in ausländischen Medien erscheinen könnten.
Das Konzept von zivilen (also nichtstaatlichen) Organisationen ist für China neu und verwirrt nicht nur Politiker der Zentralregierung, sondern auch die ganz normale Bevölkerung. Diese generell kritische Haltung hat mehrere Ursachen. Zum einen waren solche Organisationen in der chinesischen Geschichte häufig tatsächlich illegal. Zum anderen betrachteten bis 2005 selbst hohe Regierungsbeamte gemeinnützige Arbeit als eine Form der Religionsausübung. Immerhin waren Waisenhäuser und andere Wohlfahrtseinrichtungen in der Vergangenheit allesamt von christlichen Protestanten gegründet worden. Und Religionsfreiheit existiert in China bis heute nur dem Namen nach. Und schließlich glaubten die einfachen Menschen, dass gemeinnützige Arbeit die Reichen reicher macht und die Berühmten gut dastehen lässt, aber sie konnten sich kaum vorstellen, dass arme Leute irgendwas davon haben, Gutes zu tun.
Erst nach 1980 , nachdem sich im Zuge der Wirtschaftsreformen die soziale Stabilität verbessert hatte und der Lebensstandard gestiegen war, begann ein allmähliches Umdenken in die Richtung, dass Wohltätigkeit auch dem Wohltäter guttut, dass Familien Liebe brauchen und das Land seine Familien braucht.
Die meisten Mitarbeiter des CCAA hatten schon früher in irgendeiner Funktion mit Ausländern zusammengearbeitet. Von ihnen konnte man gewisse Informationen bekommen, in schriftlicher Form, unter dem roten Briefkopf der Regierung. Aber es gehörte nicht zu ihren Aufgaben, sich zu irgendetwas zu äußern, das mit menschlichen Gefühlen zu tun hatte. Es war eine Organisation, die reibungslos funktionierte, aber kein Herz hatte. Ihre Pendants auf regionaler oder städtischer Ebene waren sich offenbar ihrer Macht überhaupt nicht bewusst und schienen auch gar nicht die Freiheit zu haben, diese Macht auszuüben. Sie gaben einfach nur Befehle von oben weiter. Und die Leute, die konkret in den Waisenhäusern arbeiteten, wurden durch leidvolle Erfahrung immer vorsichtiger. Keiner wollte einen falschen Schritt tun und deswegen seinen Arbeitsplatz verlieren. Jobs, in denen man mit Ausländern zu tun hatte, waren vor Ort sehr begehrt. Das alles führte dazu, dass es 2006 und 2007 schwieriger denn je wurde, an irgendwelche Informationen über Adoptionen zu gelangen, und das, obwohl China sich durch die Reformen angeblich »geöffnet« und »modernisiert« hatte.
Zum Glück begegnete ich in dieser Zeit, als es fast unmöglich war, an verifizierbare und aktuelle Informationen heranzukommen, zwei sehr unterschiedlichen Frauen, die im Adoptionssystem arbeiteten.
Eine lernte ich per Zufall kennen, weil sie auf einem Flug von Auckland nach Sydney neben mir saß. Sie war in Neuseeland gewesen, um Adoptivfamilien zu prüfen, und auf dem Rückflug nach China musste sie in Sydney umsteigen. Als Landsleute unter fremdem Himmel fanden wir gleich einen Draht zueinander. Zum Schutz ihrer Identität werde ich sie Wan nennen. Wan war sehr jung, aber als gute Staatsbeamtin extrem zurückhaltend in ihren Äußerungen. Sie hatte die Stelle mit den reizvollen regelmäßigen Auslandsreisen bekommen, weil sie Englisch studiert hatte.
Wan erklärte mir: »Das größte Kopfzerbrechen bereiten uns die Amerikaner, die einreisen und ohne Genehmigung drauflosfilmen. China ist ein Land, in dem die Medien kontrolliert werden. Die Medien im Westen nutzen diese Aufnahmen von
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