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Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)

Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)

Titel: Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Beldt
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willst ja immer nur spazieren gehen!«
    »Warum sollen wir denn mit einem Ballon fliegen?«, fragte Herr Radtke entgeistert.
    »Das wäre zumindest mal was anderes«, gab Frau Radtke zu bedenken.
    »Aber uns geht es doch auch so ganz gut.«
    Frau Radtke schüttelte den Kopf. »Du willst mich ja gar nicht verstehen, gib’s nur zu!«
    »Doch«, sagte Herr Radtke, »du willst mit einem Ballon fliegen.«
    »Nein«, sagte Frau Radtke, »ich will nicht mit einem Ballon fliegen. Leg mir bitte nicht immer irgendwas in den Mund!«
    »Eben hast du gesagt, dass es mal was anderes wäre.« Herr Radtke blickte hilfesuchend zu mir. Ich konnte und wollte ihm dabei aber lieber nicht helfen.
    »Es war nur ein Beispiel«, erklärte Frau Radtke. »Es muss ja nicht unbedingt ein Ballon sein.«
    »Mit was willst du denn dann fliegen?«, fragte Herr Radtke verzweifelt.
    »Ich will mit überhaupt nichts fliegen«, sagte Frau Radtke energisch, »du weißt doch, dass ich Höhenangst habe.«
    Herr Radtke trank sein Glas leer und schenkte sich nach.
    »Bevor du dich wieder betrinkst«, ermahnte ihn seine Frau, »solltest du unseren Gästen noch ihr Zimmer zeigen. Sie wollen sich vor dem Abendessen sicher noch frischmachen.« Damit stand sie auf und verschwand fröhlich summend in der Küche.
    Ich sah vorsichtig zu Jutta. Ihr Gesicht war versteinert. Ich wusste genau, was sie dachte, war mir aber durchaus keiner Schuld bewusst.
    Inzwischen hatte ich einen leichten Schwips, der die Lage spürbar erträglicher machte. Die Trinkerei erschien mir plötzlich als ernstzunehmende Möglichkeit, mir etwas Eigenes aufzubauen. Als professioneller Trinker würde ich automatisch in die Liga der harten Männer aufsteigen, ohne meine Beschäftigung mit Blumen komplett einstellen zu müssen. Mit einer durchtrainierten Leber könnte ich in Juttas Bekanntenkreis sicher einiges Aufsehen erregen. Und ich bräuchte dafür nicht mehr zu tun, als den Alkoholkonsum täglich ein wenig zu erhöhen.
    Herr Radtke, der genauso beschwipst war wie ich, führte uns eine enge Treppe hoch in den ersten Stock.
    »Das ist Ihr Reich«, sagte er, mit einer großen Geste in ein winziges Zimmer deutend, das früher offensichtlich von seinem Sohn bewohnt worden war. An den Wänden hingen Poster mit martialisch wirkenden Rockbands. Auch eine nackte Blondine lächelte uns frontal entgegen.
    »Wir erwarten Sie dann gleich zum Abendessen«, nuschelte Herr Radtke und ließ uns allein.
    Einen Augenblick standen Jutta und ich wortlos nebeneinander und betrachteten das Bett. Es war kaum groß genug für einen von uns. Und die Vorstellung, in einem Bett zu liegen, in dem sich der Sohn beim Anblick der barbusigen Blondine durch seine Pubertät onaniert hatte, behagte mir überhaupt nicht. Aber hatten wir eine Wahl?
    »Das sind doch richtig nette Leute, findest du nicht auch?«, wagte ich einen vorsichtig optimistischen Ausblick.
    Jutta sah mich an, als wäre ich vollkommen verrückt geworden.
    »Willst du hier etwa übernachten?«
    Ich zuckte die Schultern. Meine Unentschlossenheit machte sie rasend.
    »Du könntest ja auch mal eine Meinung dazu haben!«
    Es war mir schleierhaft, wieso ich zu allem eine Meinung haben musste. Wenn man nicht dauernd einen Standpunkt vertrat, löste man sich als Mann anscheinend auf.
    »Wir machen uns jetzt frisch, und dann gehen wir wieder runter«, erklärte ich ruhig.
    »Ich gehe da nicht wieder runter, auf gar keinen Fall, das kannst du gerne allein machen.«
    »Aber das ist doch unhöflich, Frau Radtke kocht extra für uns«, sagte ich.
    »Ist mir ganz egal«, sagte Jutta unbeirrt, »ich gehe jetzt ins Bett.« Tatsächlich machte sie Anstalten ins Bett zu steigen, benahm sich dabei jedoch so ungeschickt, als hoffte sie, dass ich ihr im letzten Moment doch noch die Flucht aus dem Fenster vorschlagen könnte. Aber ich sagte nichts. Ich sah zu, wie sie auf allen vieren ins Bett kletterte, sich mehrmals drehte und schließlich die Bettdecke falsch herum über sich warf.
    Und wie sie da beleidigt unter den Rockbands und der Blondine lag und mich keines Blickes mehr würdigte, spürte ich, dass ich zum ersten Mal etwas richtig gemacht hatte.
    Unten am Esszimmertisch warteten bereits die Radtkes vor dampfenden Töpfen. Ich entschuldigte meine Frau, sie fühle sich etwas erschöpft von den Anstrengungen, und setzte mich ans Kopfende des Tisches.
    »Wissen Sie, dass unser Sohn an diesem Platz groß geworden ist?«, sagte Frau Radtke, während sie mir einen Teller mit

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