Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)
verschnupft nach Hause kam, wusste ich, dass sie wieder irgendwo konferiert hatte. Auf diese Weise bekam ich Einblicke in ihren Arbeitsalltag, ohne sie groß danach fragen zu müssen. Trotzdem war Jutta stets aufs Neue erstaunt, wenn ich über ihre Aktivitäten Bescheid wusste. Man brauchte eben nur etwas Feingefühl, dann ergaben sich die Rückschlüsse wie von selbst. Zu meinem Bedauern nahm Jutta mein Gespür für Zusammenhänge jedoch nie zur Kenntnis und warf mir in Abständen vor, dass ich mich für ihre Arbeit nicht interessierte.
Nachdem ich das Glas geleert hatte, bestellte ich ein zweites. Zu meiner Verwunderung wurde ich überhaupt nicht müde.
Unterdessen hatte mich Herr Schmücke keineswegs vergessen. Ich tauchte gerade meine Nase in den Schaum, als ich sah, wie er zusammen mit einem anderen, deutlich älteren Mann, auf mich zumarschierte, als wollten sie mich jeden Augenblick vom Hocker reißen und aus dem Hotel werfen.
»Thomas Herrendorf, ich bin der Hoteldirektor«, sagte der Hoteldirektor ohne Umschweife, wahrscheinlich hatte er diesen Satz tagelang vor dem Spiegel geübt, »würden Sie das Haus jetzt bitte verlassen.«
Ich mochte seine direkte Art zwar nicht, fühlte mich aber sofort ernst genommen, was allein schon wegen meiner äußeren Erscheinung bemerkenswert war.
»Ihr Kollege war so freundlich und hat mich reingebeten«, sagte ich unbeeindruckt von seinem Auftritt.
»Mein Mitarbeiter«, korrigierte er mich, »hat Ihnen aber auch mitgeteilt, dass wir eine geschlossene Gesellschaft haben.« Offenbar legte er großen Wert auf Hierarchien. Ich mochte ihn nicht.
»Er wollte eigentlich auch nur ein Wasser trinken«, beschwerte sich Herr Schmücke vorsichtshalber bei seinem Chef.
»Von Wasser war nie die Rede«, sagte ich und wischte mir den Schaum von der Nase.
»Ist ja auch egal«, sagte der Direktor. Ich merkte, dass er sich mit solchen Kleinigkeiten nur ungern beschäftigte. Sein Hauptaugenmerk lag auf dem großen Ganzen, den Konzernumsätzen, Hotelübernahmen und Zukunftsstrategien. Dass er sich mit so einem wie mir befassen musste, gab seinem Selbstverständnis als Hotellenker einen leichten Knacks.
»Bitte gehen Sie jetzt, die Getränke gehen aufs Haus.«
Der Name Herrendorf kam mir plötzlich bekannt vor. Dass ich mich nur dann an Namen erinnerte, wenn es überhaupt nicht nötig war, gehörte zu den unerklärlichen Phänomenen meines Lebens.
»Bist du damals im Fichte-Gymnasium nicht in die 9a gegangen? Dein Klassenlehrer hieß, glaube ich, Seppke.«
»Wie bitte?«
»Ja, richtig, Thomas Herrendorf! Ich hatte dir doch mal einen Porno ausgeliehen, ich weiß nicht, ob du dich noch daran erinnerst.«
Herr Schmücke blickte verunsichert zu seinem Chef.
»Mein Klassenlehrer hieß Schmitz«, beeilte sich der Direktor den peinlichen Irrtum aufzuklären, »und ich war auch nicht auf dem Fichte-Gymnasium.« Er räusperte sich und drehte sich kurz mit einem triumphierenden Lächeln zu seinem Mitarbeiter um. In diesem Lächeln präsentierte sich mit einem Mal seine ganze Unsicherheit, die er durch sein Auftreten bisher erfolgreich verdeckt hatte.
»Ich fordere Sie jetzt zum letzten Mal auf, das Hotel zu verlassen.«
»Nichts für ungut. Ist ja auch nicht so wichtig«, sagte ich. »Vielleicht hieß er Herrenberg.« Der Direktor schien zum Äußersten entschlossen, und ich war gespannt, was er als Nächstes plante. Meine Gelassenheit provozierte ihn offensichtlich. Er konnte nicht damit umgehen, und das amüsierte mich.
In diesem Augenblick ging die Flügeltür neben dem Empfangstresen auf. Ein Dutzend Männer und Frauen strömten aus dem Konferenzsaal und verteilten sich in der Lobby. Einige strebten direkt in die Bar und ließen sich erschöpft in die Sessel fallen. Unter ihnen erkannte ich auch Gunnar Fahrenkamp, der mich jedoch noch nicht bemerkt hatte. In der Lobby sah ich jetzt auch Jutta. Das heißt, zunächst erkannte ich sie gar nicht in ihrem eleganten Hosenanzug. Für einen Moment erschien es mir ausgeschlossen, dass die attraktivste Frau am Platze ausgerechnet meine eigene Frau sein konnte. Sie trug einen Aktenordner unter dem Arm und diskutierte angeregt mit einer deutlich kleineren Frau, deren ruhige, nachdenkliche Art eine gewisse unangestrengte Bedeutung ausstrahlte. Wie ich Jutta dort stehen sah, fragte ich mich, was sie an einem Mann wie mir überhaupt fand. Mir wurde schlagartig klar, dass ich im Grunde überflüssig war. In ihrem Leben war ich nicht mehr als eine
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