Wollust - Roman
Grossman. Er ist sechsundzwanzig, lebt in Boston mit seiner Frau und war gestern Abend auf einer Party. Also ist er aus dem Schneider. Die beiden jüngeren Grossman-Kinder waren gestern Abend laut Aussage der
Eltern zu Hause. Zum Nachweis geben sie E-Mails, IM-Chats und Facebook-Einträge an. Ich habe das noch nicht überprüft, es wäre aber kein Problem, wenn du Wert darauf legst.«
»Wie alt sind sie? Fünfzehn und dreizehn?«
»Genau.«
»Schieb sie nach hinten. Lass uns zuerst über Adriannas Altersgenossinnen reden – Crystal und Sela. Mach Gesprächstermine mit ihnen aus, weil … Moment … hier kommt’s.«
Decker blätterte schnell seine Notizen durch.
»Adrianna hat heute Morgen gleich nach ihrer Schicht Sela Graydon angerufen. Finde heraus, worum es da ging. Adrianna hat noch einen zweiten Anruf getätigt, aber wir wissen nicht, zu wem die Nummer gehört. Jedes Mal, wenn ich angerufen habe, war die Mailbox voll. Es ist ein Handy, also funktioniert die Suche mit Nummer statt Namen nicht. Vielleicht brauchen wir eine richterliche Genehmigung, um nachforschen zu dürfen, um wessen Nummer es sich handelt. Hör dich mal um, ob die Nummer zu jemandem in ihrem Freundeskreis passt.«
»Mach ich. Gab’s was Neues beim Durchforsten der Nachbarschaft?« , fragte Marge Decker noch.
»Ich habe bis jetzt nichts weiter gehört. Wie wär’s, wenn wir uns später am Abend treffen und unsere Notizen vergleichen?«
»Klingt wie ein guter Plan. Bis nachher.«
Marge beendete das Gespräch und wählte gleich danach Sela Graydons Nummer, als eine Frau aus dem Team der Spurensicherung auf sie zukam. Die Frau reichte ihr gerade bis zum Bauchnabel. Vielleicht ein bisschen höher, aber sie maß eindeutig weniger als einen Meter fünfzig. Sie war jung, mit asiatischen Wurzeln und so hauchzart wie ein Spinnennetz, nur dass sie eine echte Raucherstimme hatte. Sie hieß Rebel Hung.
»Wir sind jetzt fast fertig mit den Untersuchungen, die wir vor Ort durchführen können.« Rebel zog sich mit einem Schnalzen die Latexhandschuhe aus. »Ich habe den Abschleppwagen gerufen. Wir bringen das Auto ins Labor und nehmen es noch mal gründlich in die Mangel.«
»Sieht nicht danach aus, als sei das hier ein Tatort«, sagte Marge.
»Sehe ich genauso«, antwortete Rebel. »Wer weiß, ob sie jemals bei ihrem Auto angekommen ist.«
»Fußspuren?«
»Wir haben ein paar Teilabdrücke. Und jede Menge versteckte Fingerabdrücke. Vielleicht ergibt sich ja irgendeine Überraschung.«
»Hoffentlich.«
»Was ist mit dem tatsächlichen Tatort?«, wollte Rebel wissen. »Da, wo ihr sie aufgehängt gefunden habt?«
»Es ist der Fundort, aber wir sind nicht sicher, ob es auch der Ort ist, an dem sie umgebracht wurde. Wenn sie dort getötet wurde, scheint sie sich nicht in einem Kampf gewehrt zu haben. Die Gerichtsmediziner haben keine Schuss- oder Stichwunden festgestellt – aber man könnte sie vergiftet oder betäubt haben, bevor sie aufgeknüpft wurde. Wir untersuchen sie auf alle Fälle toxikologisch.«
»Sexualisierte Gewalt?«
»Sieht nicht danach aus, aber warten wir die Autopsie ab.«
Rebel schürzte die Lippen. »Erhängen ist eine sonderbare Art, einen Mord zu begehen.«
»Ja, jemand hat sie da mit dem Zweck dramatischer Effekthascherei aufgeknüpft.«
»Sehr dramatisch – so wie in: Serienkiller-dramatisch.«
»Stimmt genau, wir haben diese Variante tatsächlich noch nicht verworfen.«
10
Während die jüngeren Schüler die Stühle aufbauten, führte Hannah Gabe zur Chorleiterin. Mrs. Kent war eine energische, korpulente Frau mit einer Topffrisur aus schwarzem Haar und einer Brille, die an einer Kette hing.
»Das ist Gabriel«, stellte Hannah ihn vor. »Er spielt Klavier.«
Mrs. Kent platzierte ihre Brille auf der Nase und musterte den Jungen von oben bis unten. »In welche Klasse gehen Sie?«
»In die zehnte, aber ich bin nur zu Besuch da.«
»Zu Besuch?« Mrs. Kent ließ ihre Brille auf ihre Brust fallen. »Für wie lange?«
»Nicht bekannt«, mischte Hannah sich ein. »Vielleicht einen Tag oder zwei. Ich dachte mir, wenn er an Ihrer Stelle ›My Heart Will Go On‹ spielt, können Sie sich auf den Gesang konzentrieren. Obwohl es wahrscheinlich mehr als das braucht, damit wir den Ton halten.«
»Das ist ausgerechnet von der Präsidentin des Chors eine ausgesprochen zynische Bemerkung.« Sie fixierte Gabe. »Kennen Sie das Lied aus dem Film ›Titanic‹?«
»Ich kann’s ziemlich nah dran nachspielen. Es ist
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